Ausführende und Programm:
Andreas Brantelid Violoncello
Ingemar Brantelid Violoncello
Mette Hanskov Kontrabass
Misa Hasegawa Klavier
Irina Kulikova Gitarre
Luz Leskowitz Violine
Solenne Païdassi Violine
Aylen Pritchin Violine
Joachim K. Schäfer Trompete
Oliver Schmidt Cembalo
Aroa Sorin Viola
CARL PH. E. BACH (1714 – 1788)
Konzert für Violoncello, Streicher und Continuo in A-Dur
ANTONIO VIVALDI (1678 – 1741)
Concerto für Gitarre, Streicher und Continuo in D-Dur
VICENZO BELLINI (1801 – 1835)
„Variations sur NORMA“ für Kornett und Streicher,
Bearb. von J.B. Arban
PAUSE
MAX BRUCH (1838 – 1920)
„Kol Nidrei“ für Violoncello und Streicher
MARIO CASTELNUOVO TEDESCO (1895 – 1968)
Fantasia für Gitarre und Klavier op.145
FRANCISCO TARREGA (1852 – 1909)
„Recuerdos de la Alhambra“ für Gitarre
CAMILLE SAINT-SAENS (1835 – 1921)
Septett für Trompete, Klavier, Streichquartett
und Kontrabass in Es-Dur, op. 65
Dass die treuen Besucher des Mai Festivals nach zwei Jahren Pandemie bedingtem Unterbruch «ihr» Festival sehnlichst zurück erwartet hatten, manifestierte sich schon an der grossen Ansammlung der Leute vor der Kirche, die sich lange vor Türöffnung dort eingefunden hatten und dem Eröffnungskonzert entgegenfieberten.
Feierliches Eröffnungskonzert
Neu ist Marc Trampe, frischgewählter Bürgermeister der Gemeinde Rellingen, Schirmherr des Festivals. Er war es auch, der die Besucher willkommen hiess in der praktisch vollen Rellinger Kirche.
Kleine, kurzfristige Programmänderung
Mit leichtabgeändertem Programm entführten uns die Musiker*innen in die Welt der Kammermusik. Diese Programmumstellung, Tschaikowskis «Rokoko Variationen» anstelle des Konzertes für Violoncello, Streicher und Continuo in A-Dur von Carl PH. E. Bach, bot dem, erstmals am Maifestival engagierten Cellisten Andreas Brantelid, beste Gelegenheit, sein immenses Können zu demonstrieren.
Zwei Generationen in einem Team
Als Sohn des seit vielen Jahren Maifestival erprobten Cellisten Ingemar Brantelid, ist er, im positiven Sinne, musikalisch «vorbelastet». So strahlte denn auch der Vater, obschon sein Sohn ihm ja fast etwas die Show stahl. Intendant und Leiter Luz Leskowitz ist es gelungen, nach Solenne Paidassi und Aylen Pritchin, beide Violine, erneut jüngeres Musikerblut in die Arterie des Ensembles zu integrieren. Mit Aroa Sorin ist, aufgrund des Hinschiedes von Wladimir Mendelssohn (1949 – 2021), eines langjährigen Weggefährten von Luz, die Viola neu, wie man hörte, sehr gut besetzt.
Überraschende, aber gelungene Ergänzung des Ensembles durch eine Gitarre
Beim Vivaldi Konzert D-Dur op.12 Nr. 15 ergänzte Irina Kulokova mit ihrer Gitarre das Ensemble der Streicher und so erklangen für einmal eher ungewohnte, sehr interessante, überraschende Klangbilder unter der Kuppel des Rellinger Musiktempels.
Jean- Baptiste Arban Variationen für Kornett und Streicher über Themen
aus der Oper Norma von V. Bellin
Als dann bei den Variationen für Kornett und Streicher über Themen
aus der Oper Norma von V. Bellini der Dresdner Joachim K. Schäfer mit seinem absolut klaren, runden Ton das Ensemble ergänzte und die «Casta Diva» variierte, war ein weiteres Ausrufezeichen dieses Maifestivals schon vor der anschliessenden Pause gesetzt und mit langanhaltendem Applaus belohnt worden.
Während dieser Pause unterhielt man sich angeregt, mit mehr und weniger einem bekannten Konzertbesuchern, dies bei angenehmen Frühlingswetter vor der Kirche, bevor man sich wieder in diese begab, für den zweiten Konzertteil.
Max Bruch “Kol Nidrei” für Violoncello und Streicher
Max Bruchs Kol Nidrei gehört neben dem populären 1. Violinkonzert zu seinen berühmtesten Kompositionen. Das wehmütige Adagio nach hebräischen Melodien entstand 1880 für den Cellisten Robert Hausmann. Es verarbeitet zwei alte jüdische Gesänge, deren außerordentliche Schönheit den Protestanten Bruch nach eigener Aussage tief bewegte. Der tenorale Celloklang ist das ideale Medium für die Stimme eines jüdischen Kantors, und so liefert Kol Nidrei bis heute jedem Cellisten eine wunderbare Vorlage für das Singen auf seinem Instrument, also das ideale Terrain für Andreas Brantelid um seine Virtuosität erneut zu demonstrieren, kongenial getragen von seinen Mitmusiker*innen.
Mario Castelnuovo Tedesco Fantasia für Gitarre und Klavier op.145
Gitarristen haben eines gemeinsam: Sie leiden darunter, dass die Literatur für ihr Instrument nicht besonders groß ist. Das betrifft vor allem die Kammermusik. Nicht viele wirklich brauchbare Komponisten widmeten sich gebührend diesem Instrument, das doch zu so melancholischen bis feurig-wilden Klängen imstande ist. Mario Castelnuovo-Tedesco (1895–1968) ist einer von ihnen.
Das einfallsreich komponierte Quintett, das sich am ehesten mit neoklassizistisch bis neoromantisch ohne Biederkeit beschreiben lässt, führen sie sauber aus, die Flageoletts (mit denen weiß Tedesco eine Menge anzufangen!) kommen sehr fein, der Ton ist durchweg edel. Becker präsentiert seine hervorragende Technik. Vielleicht wünscht man sich hier und da mehr heißes Blut, gerade bei den spanischen Passagen, etwas mehr Mut, mehr Tempo, mehr Extreme.
Die völlig unterschätzte Fantasia op. 145 für Gitarre und Klavier, ein fabelhaftes Werk mit impressionistischen Landschaften, wie man sie nur selten auf der Gitarre hört, gelingt Irina Kulikova und Misa Hasegawa außerordentlich gut. Die Klangmischung zwischen dem filigranen Gitarren-Sound und dem voluminösen Klavierklang ergänzt sich perfekt, was auch das Auditorium so sah und die beiden Damen dementsprechend mit Applaus belohnte.
Francisco Tárrega “Recuerdos de la Alhambra” für Gitarre
Dieses klassische Gitarrenwerk ist eine der größten Herausforderungen für jeden Gitarristen, weil die Melodie als Tremolo gespielt wird und gleichzeitig ein variabler Basslauf zu spielen ist – und das alles ziemlich schnell. Dadurch entsteht allerdings ein wunderbar voller Klangteppich und man hat das Gefühl, es würden zwei Gitarren gleichzeitig spielen. Ein Genuss für jeden Liebhaber spanischer Gitarrenmusik.
Die Tonart ist a-Moll, doch wie es sich für jedes ordentliche spanisch-romantische Gitarrenstück gehört, gibt’s auch einen grandiosen Mittelteil in Dur, der einen wirklich mitnimmt. Ein perfektes Werk für Irina Kulikova ihr ganzes Können zu demonstrieren, perfektes russisches Handwerk mit einem Schuss andalusischer Genialität.
Camille Saint-Saens Septett für Trompete, Klavier, Streichquartett
und Kontrabass in Es-Dur, op. 65
Dieses Werk zeigt auf, was der Grandseigneur der französischen Spätromantik für die Entwicklung der Instrumentalmusik in seiner Heimat getan hat. Saint-Saëns setzte es sich zum Ziel, durch regelmäßige Uraufführungen von eigenen Werken und solchen junger Komponisten die französische Kammermusik zu fördern und vom erdrückenden Vorbild der „Musique germanique“, der deutschen Kammermusik von Beethoven bis Brahms, zu befreien.
Unter den Stücken, die so im Laufe der Jahre entstanden, huldigten nicht wenige einem neobarocken Stilideal, d.h. sie versuchten, die Formen der Barockmusik mit den harmonischen Mitteln des späten 19. Jahrhunderts zu verbinden. Unter den Werken dieser Richtung ist das Septett von Saint-Saëns, 1879/80 für die Pariser Gesellschaft Die Trompete, komponiert, das brillanteste und zugleich ironischste. Nichts scheint hier ganz ernst zu sein. Der Komponist des Karnevals der Tiere hat hier seinen „Karneval der Stile“ geschrieben.
Schon gleich das einleitende Préambule zieht die Attitüde einer barocken Ouvertüre mit langsamer Einleitung und Fuge keineswegs dezent durch den Kakao. Auf den pompösen Unisono-Anfang folgt ein Fanfarensolo der Trompete, während das Klavier sich etwas unpassend im Stil des Virtuosen Konzerts gebärdet. Die Fuge schafft Ordnung. Sie behandelt ihr Thema in der Manier von Schumanns Klavierquintett – ein Seitenhieb auf deutsche Gründlichkeit. Romantische Episoden durchbrechen die barocke Motorik, die gegen Ende fröhliche Urständ feiert.
Das Menuett bedient sich noch plakativer als der erste Satz barocker Klischees. Versatzstücke aus dem Baukasten eines Lully oder Händel werden zusammengewürfelt, um unversehens dem Ton eines Schumann-Nachtstücks Platz zu machen. Die beiden Ebenen sind mit bewundernswerter Klarheit durchgehalten, bis das Trio eine elegante Melodie an die Stelle der Ironie setzt.
Das Interméde ist der einzige ganz romantische Satz des Werkes: eine Moll-Kantilene über eine Art Bolero-Rhythmus, die von Instrument zu Instrument weitergereicht und bis zu schwärmerischer Ekstase gesteigert wird. Stil und Klang erinnern an romantische Fantasiestücke, was Saint-Saëns jedoch nicht unbedingt ernster nahm als den Pseudo-Barock der übrigen Sätze.
Mit Gavotte et Final lenkte er den Blick zurück zur höfischen Welt des 18. Jahrhunderts, die hier einen Schuss Frivolität aus jüngeren Etablissements mitbekommen zu haben scheint. Im Kaskaden-Feuerwerk des Klaviers würde niemand ohne die Überschrift den Rhythmus der altehrwürdigen Gavotte wiedererkennen. Man würde ihn für einen Galopp alla Johann Strauß halten. Erst der virtuose Abschluss, das eigentliche Finale, führt uns wieder ins sichere Fahrwasser barocker Satztechniken zurück. Man findet sich in einem jener akademischen Fugenfinali wieder, wie sie die Deutschen so sehr liebten und wofür sie von den Franzosen so gerne belächelt wurden.
Für die perfekte Umsetzung der Intentionen des Komponisten zeichneten die folgenden Akteur*innen verantwortlich: Joachim K.Schäfer, Misa Hasegawa, Solenne Paidassi, Luz Leskowitz, Aroa Sorin, Ingemar Brantelid und Mette Hanskov.
Das Publikum bedankte sich mit einem langanhaltenden Schlussapplaus für das begeisternde Eröffnungskonzert.
After concert Réunion bei Managing Owner Captain Thomas Pötzsch und seiner Frau Ulrike
In deren aussergewöhnlichen Location, einer nachgebauten Schiffsbrücke, die normalerweise der sehr ungewöhnlich – exklusive Arbeitsplatz der ca. 40 Mitarbeiter*innen der CTP.BIZ GmbH https://www.ctp.biz/ctpbiz am Standort Rellingen ist, laden die grosszügigen Rellinger Kulturförderer jeweils nach dem ersten Maifestival Konzertabend zu Häppchen und ausreichend Tranksame, umsorgt von äusserst netten und kompetenten Cateringmitarbeiter*innen. «Zufälligerweise» steht dort auch ein E Piano und so dauert es auch nicht zu lange, bis jemand, der ebendiesem Töne entlocken kann, sich hinsetzt und in die Tasten greift. Diesmal ist es Misa Hasegawa die den Anfang macht und von Joachim K.Schäfer auf der Trompete supportiert wird.
Anschliessend greift sich Solenne Paidassi die Stradivari von Luz, die sie, so der Meister, vorher noch nie in der Hand hatte, was, so denk ich mal, ausser von den Musikern, von niemandem bemerkt wurde. So wurde auch hier musiziert, während man sich angeregt austauschte und die Häppchen und Getränke genoss, dies alles in sehr lockerer, familiärer Atmosphäre. Alles in allem von A bis Z ein perfekter Auftakt ins Rellinger Maifestival 2022.
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: Léonard Wüst und Wolfgang Gaedigk https://www.mrk-rellingen.de/maifestival.html
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