Besetzung und Programm:
Luzerner Sinfonieorchester
Michael Sanderling Chefdirigent
Martha Argerich Klavier
Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90
Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 54
Intendant Numa Bischof Ullmann begrüsste das Publikum im vollbesetzten Konzertsaal und erzählte u.a., dass Martha Argerich am 8. Juni 2010 hier im KKL zur Feier des 200. Geburtstages von Robert Schumann auch das heute programmierte Werk des Komponisten interpretiert hatte und zeigte sich erfreut, dass «sein» Orchester seit vielen Jahren sehr gerne und ebenso erfolgreich mit dieser Ausnahmepianistin zusammenarbeitet.
1. Konzertteil Johannes Brahms (1833 – 1897) Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90
Zwei einleitende Bläserakkorde genügen, um alles in Hochstimmung zu versetzen. Der erste ist ein einfacher F-Dur Akkord, der zweite kann nur von seiner Wirkung her beschrieben werden: er wirkt, als ginge man kurz in die Knie, um sich in die Höhe (hier: die höhere Oktave) zu katapultieren. Oben kommt uns das Hauptthema entgegen, von den Violinen „passionato“ (leidenschaftlich) vorgetragen. Hauptmotiv (die sich hochreckende Geste) und Hauptthema steigern sich gegenseitig …was für ein kraftvoller Anfang!
Das Hauptmotiv erweist sich als Zaubermotiv: es lässt Zeit vergehen, lässt Herbst werden – das Seitenthema taucht auf wie eine Erinnerung: ein liebliches Gesicht, vielleicht auch ein Kindergesicht, eine Enkelin…etwas, dem man lächelnd ein Ach ja nachseufzt.
In der Mitte des Satzes (man sollte nicht von Durchführung sprechen) wird das Zaubermotiv – vorgetragen vom Horn – zu einer edlen Melodie. Sie spiegelt einen Charakter, der immer in die Höhe strebt und doch eine weiche Seele hat. Der Satz klingt ruhig aus.
Der ruhige zweite Satz beginnt wie ein Volkslied mit verwehendem Echo. Doch dann wird es still, und aus der Ferne, aus der Tiefe der Seele vernehmen wir ein musikalisches Bekenntnis von verletztem Zartgefühl und abgrundtiefer Traurigkeit. Der Satz klingt fragend aus.
Das fragende, lange Thema des dritten Satzes – ein Intermezzo – wandert durch eine flüsternde Begleitung wie durch raschelndes Laub. Die Instrumentierung ist meisterhaft und abwechslungsreich, aber alle Farben sind welk. Der Satz klingt besinnlich aus.
Düster beginnt das Finale, leise und erregt. Da stockt der Atem: das zarte und traurige Thema aus dem zweiten Satz ist wieder da, aber es ist zu einem bitteren, fast zynischen Choral geworden. Und dann platzt Brahms der Kragen: wenn Musik zornig sein kann – dieser Satz ist es. Der Choral fährt unter die Themen: nichts ist ihm heilig, die Fetzen fliegen – eine herrliche Abrechnung! Mit wem? Mit was – das bleibt Geheimnis des Meisters.
Das Zaubermotiv erscheint und hellt die Stimmung auf. Der Choral entspannt sich; die Anfangsbegegnung des Hauptmotivs mit dem Hauptthema wölbt sich wie ein hoher Regenbogen: wenn Musik versöhnlich sein kann – der Schluß dieser, Brahms persönlichster Symphonie ist es.
Das Orchester in bestechender Form, massgeschneiderte Qualität
Warum sich der Komponist im Entstehungsprozess so schmallippig gab, scheint die Musik zu verraten: Erstmals in einer Sinfonie erprobt Brahms in der Dritten ein zyklisches Prinzip. Das wuchtig dionysische Hauptthema vom Anfang beispielsweise lässt er gezähmt, regelrecht geläutert noch einmal ganz zum Schluss erklingen, als Kaskade aus apollinischen Höhen.
Das Luzerner Sinfonieorchester konzertierte, engagiert geleitet von Chefdirigent Michael Sanderling überragend, überzeugte mit grossinfonischen Qualitäten und sattem, überzeugenden und im letzten Satz auch magistral nach oben akzelerierendem Ausdruck..
2. Konzertteil Robert Schumann (1810 – 1856) Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 54
Da scheint sich, beim Intro, auch Consuelo Velázquez die Komponistin von «Besame mucho» bedient zu haben. Dann, ganz zu Beginn unvermittelt eine Kaskade von Akkorden, die nur hier in dieser Form erscheint, es folgt eine unvergessliche Melodie, die gleich vorherrschend wird und aus der sich fast alles Folgende entwickeln wird: Der Beginn von Schumanns einzigem Klavierkonzert ist spektakulär. Darf man vielleicht die feurigen Akkorde zu Anfang dem lebhaften Florestan in Schumann zuordnen, das beherrschende Hauptthema aber Clara? Oder kann man den langsamen Teil (andante espressivo) des Kopfsatzes als Liebesduett deuten? Wird der unstete Florestan endlich von der sanften Clara sozusagen gezähmt? Vielleicht, vielleicht auch nicht, reizvoll sind solche Spekulationen allemal. Die Entstehung dieses erzromantischen Konzerts ist jedenfalls einigermaßen unromantisch verlaufen, es wurde keineswegs in einer einzigen kurzen, intensiven und inspirierten Arbeitsphase geschaffen. Begonnen wurde es 1841 etwa ein halbes Jahr nach der Hochzeit der Schumanns und zwar als einsätzige Fantasie mit jenem eigenen langsamen Mittelteil, dem “Liebesduett”, und einem eigenen Finale. In dieser Form konnte das Stück weder aufgeführt noch verlegt werden, der Markt verlangte unerbittlich dreisätzige Konzerte. 1845 fügte Schumann nahtlos zwei weitere Sätze an: das traumhaft schöne Intermezzo und das ohne Pause folgende optimistische, vorwärtsdrängende Finale (allegro vivace). Insgesamt war das Werk jetzt etwa doppelt so lang geworden. Die Uraufführung war im Dezember 1845 in Leipzig, natürlich mit Clara am Flügel.
Keine Komposition für eitle Egomanen
Das Konzert ist von Schumann sehr bewusst nicht für mehr oder weniger eitle Virtuosen geschrieben worden und Liszt z.B. hat es anfangs deswegen auch nicht spielen wollen. Vielleicht noch mehr als Beethovens Violinkonzert, dem es in diesem Punkte ähnelt, setzt dieses Klavierkonzert auf den Dialog zwischen der Solistin und dem Orchester. Beide Seiten müssen sehr aufmerksam und flexibel sein. Zeitweise vertauschen sich die Rollen, wenn das Klavier das Orchester begleitet. Anderswo wird es richtiggehend kammermusikalisch, wenn das Klavier mit einzelnen Instrumenten aus dem Orchester Zwiegespräche hält. Die Zeitgenossen nahmen sehr wohl wahr, dass Schumann neue Wege ging, auch wenn sein Konzert wiederum in einer Tradition steht und er Anregungen von Beethoven (3.Klavierkonzert), Mendelssohn, Schubert und Bach bezog.
Auch im Zusammenhang mit diesem Konzert sind Schumann Schwächen bei der Orchestrierung vorgeworfen worden. Ganz unberechtigt sind sie nicht, viel Erfahrung hatte er nicht, als er mit der ursprünglichen Fantasie begann. Vielleicht macht es sogar den besonderen Charme dieses Meisterwerks aus, dass es eben nicht ganz perfekt ist, sondern ein wenig grün und jugendlich geblieben ist. Und im Ganzen jugendlich frisch sollte es meiner Meinung nach gespielt werden und eben nicht schmalzig-schmachtend bis hin zur völligen Gedankenverlorenheit und Lethargie. Bruno Walter (“Von der Musik und vom Musizieren”) hat z.B. auf eine unselige Aufführungstradition hingewiesen, die bis zum heutigen Tage nicht ausgerottet ist: Nach den fallenden Akkorden ganz zu Anfang wird das Tempo für das “Clara-Thema” gewöhnlich sofort gedrosselt, obwohl das in der Partitur überhaupt nicht so notiert ist. Erst sehr viel später wird das Thema langsamer verlangt, ein Kontrast geht also dann entweder verloren oder es muss wiederum noch langsamer, noch schmachtender gespielt werden … Ein wenig Schmachten, ein wenig Sehnsucht muss sein, aber nicht im Übermaß. Auch unbändige Lebenslust und Drama haben hier ihren Platz, und wie sich zeigt, sind diese verschiedenen Elemente in diesem Konzert nicht einfach im Gleichgewicht zu halten. Die Solistin bewegte sich mit schlafwandlerischer Sicherheit und Grandezza durch die Partitur und erstaunlicherweise wirkte alles, trotz ihren 81 Jahren, jung und frisch. Grossartig vor allem die Sequenzen, wo die ebenso brillanten Solist*innen (Klarinette, Oboe usw.) des Orchester mit der Altmeisterin in Dialog traten.
Nie zu viel Schmelz oder gar Divenhaft
So macht «die Argerich» in ihrer unprätentiösen Art, trotz allen romantischen Schwungs und Überschwangs, nie eine überkandidelte Diva aus dem Stück (was man sonst leider verhältnismäßig oft erleben kann). Die Argentinierin gehört nicht zu den Interpretinnen, für die ‚Romantik‘ eine Art permanente Ekstase bedeutet. Zwar werden die unterschiedlichen Affektlagen von ihr mit aller Deutlichkeit aufgezeigt (auch ihre Brüche und plötzlichen Wechsel). Sie begeht allerdings nie den Fehler, es zu ‚überschminken‘ und dadurch Gefahr zu laufen, Schumann in seinem Gefühlsüberschwang der Lächerlichkeit preiszugeben. Insgesamt ist das eine sehr starke, sehr emotionale Interpretation, aber vollständig frei von ‚künstlicher Aufregung‘ und gerade deshalb in ihrer Empfindsamkeit glaubwürdig. Das hat überhaupt nichts ‚Ranschmeißerisches‘ an sich, übertrieben Heroisches oder gar Martialisches, wie man das öfter hören kann. Gleichzeitig wirkt die Interpretation trotz aller Brüche im Stück sehr organisch. Es gibt also nicht lediglich einen Wechsel von Affekten, sondern einen durchdachten Aufbau, der am Ende klar macht, dass es sich trotz aller Überraschungen im Stück um ein ‚Großes Ganzes‘ handelt.
Perfekte Tempovariierung durch die Pianistin
Die grosse Dame des Klavierspiels weiß immer sehr genau, wo man bremsen und wo man ein bisschen Gas geben muss, um das Ganze zum Strömen zu bringen. So passiert es ihr beispielsweise nie, dass sie erst mit großer Agogik Spannung aufbaut, um dann im entscheidenden Moment durch eine unbedachte Verzögerung (oder – je nachdem – eine fehlende Verzögerung) die ganze Dramatik sinnlos verpuffen zu lassen. Die Solistin ist vollkommen frei von dieser ‚Verlegenheits-Agogik‘, die man manchmal bei Pianisten beobachten kann, die sich über die Konstruktion eines Stückes nicht übermäßig intensiv den Kopf zerbrochen haben, aber ‚gefühlsmäßig‘ etwas unternehmen wollen – und es dann ausgerechnet an den ‚falschen‘ Stellen tun, und der ganze Aufbau dann kollabiert. Diese perfekte Umsetzung gelingt natürlich auch dank der Unterstützung des ausgezeichneten Orchesters, welches auf Augen- respektive Ohrenhöhe mit der , meist in der Schweiz wohnhaften, geborenen Argentinierin, agiert. Besonders auffallend auch der Dialog der Oboen mit dem Piano.
Der stürmische Schlussapplaus ging nahtlos in eine stehende Ovation über, sichtlich genossen von den Protagonist*innen auf der Bühne. Die Solistin und der Dirigent wurden mittels vehementen Applauses einige male zurück auf die Bühne geklatscht bis uns zwei kurze Zugaben von Bach und Schumann gewährt wurden aufgrund des nicht enden wollenden Applauses.
Es sind solche Konzertperlen, die den Schmerz aller Klavierliebhaber über den Verlust des, im Jahre 2000 aus dem Programm gestrichenen Lucerne Festival am Piano, etwas mindern, besonders nach dem überragenden akustischen Genuss an diesem Abend.
Wie Martha Argerich auch gesehen wird
Locker, präzise, souverän: So wird der pianistische Stil vom Martha Argerich am häufigsten beschrieben. Sie sei, so der Chor zahlreicher Argerich-Fans, eine unvergleichliche Virtuosin mit speziellem Charisma sowie auch eine feinsinnige Tastenakrobatin.
Launisch, unberechenbar, divenhaft – auch auf diese Begriffe trifft man, wenn es um die Person der „Bella Martha“ Argerich geht. Durch ihre energetische Art, das Klavier zu bändigen und wegen ihrer legendären, mittlerweile ergrauten Mähne hat sie sich längst den Spitznamen der „Löwin am Klavier“ erarbeitet.
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