Wenn ein bestimmtes Protein im Kleinhirn fehlt, führt dies dort zur Degeneration der wichtigsten Zellen und zu unheilbaren Hirnerkrankungen. Zellbiologen der Universität Bern haben nun einen Mechanismus entdeckt, der neue Wege zur Behandlung von neurodegenerativen Krankheiten im Kleinhirn eröffnet.
Wenn Nervenzellen im Kleinhirn beschädigt sind – etwa nach einem Unfall oder Schlaganfall – fällt unsere Muskelkoordination aus. Es kommt zu Gleichgewichts-, Sprach- und Gehstörungen. Dies kann vorübergehend sein oder auch unheilbar und langsam fortschreiten. Eine solche fortschreitende neurodegenerative Erkrankung ist die sogenannte spinozerebelläre Ataxie. Sie führt zu Bewegungsstörungen und nach weiteren Symptomen schliesslich zum Tod. Die Krankheit kann spontan entstehen oder von den Eltern vererbt werden und tritt mit einer Häufigkeit von einem Erkrankten pro 100’000 Menschen auf. Die Ursachen sind weitgehend unbekannt und können zu diversen Ausprägungen der Ataxie führen.
Bei allen Ataxien gehen aber jeweils die wichtigsten und grössten Nervenzellen des Kleinhirns zugrunde: die sogenannten Purkinje-Zellen. Nun hat ein Team um Prof. Smita Saxena vom Institut für Zellbiologie der Universität Bern einen zellulären Mechanismus entdeckt, der zur Degeneration dieser Purkinje-Zellen beiträgt und damit einen vielversprechenden Ansatz zur Entwicklung einer Therapie bietet. Die Studie wurde im Fachjournal «Neuron» publiziert.
Verbindung wieder hergestellt
Die Forschenden untersuchten im Mausmodell die Mechanismen, die zur unheilbaren spinozerebellären Ataxie Typ 1 (SCA1) führen. Dafür analysierten sie die Veränderungen in Purkinje-Zellen während des Auftretens der Ataxie. Es stellte sich heraus, dass die Verknüpfungen zwischen den Zellen, die Synapsen, nicht richtig funktionierten: Das Protein Homer-3, das bei der Verbindung der Purkinje-Zellen eine zentrale Funktion einnimmt, war vermindert vorhanden. Die Forschenden entdeckten auch den Grund dafür: ein wichtiger Signalweg, der für die Regulierung von sogenannt synaptischen Proteinen wie Homer-3 verantwortlich ist, war gestört.
Nachdem nun feststand, dass das Protein Homer-3 schon früh im Krankheitsverlauf vermindert hergestellt wird, wollten Smita Saxena und die Erstautorin Céline Ruegsegger vom Institut für Zellbiologie als Nächstes die kausalen Folgen auf die Krankheitsentwicklung erforschen. Mit Hilfe einer Gentherapie erhöhten sie den Gehalt von Homer-3 in Purkinje-Zellen, wodurch die Symptome abgeschwächt und der Krankheitsverlauf verzögert wurden: es kam zu wieder funktionierenden Purkinje-Zellen, womit sich die Ataxie langsamer entwickelte und sich die Bewegungskoordination sowie das Gleichgewicht verbesserten.
Diese Erkenntnis könnte laut Smita Saxena auch für andere neurodegenerative Krankheiten wie Autismus oder geistige Behinderungen von Bedeutung sein, da diese ebenfalls mit Störungen dieses spezifischen Signalwegs im Zusammenhang stehen. «Dies ist ein wichtiger Schritt im Verständnis der Prozesse, welche in neurodegenerativen Krankheiten ablaufen, und liefert einen neuen Ansatz zur Entwicklung von potenziellen Therapien», sagt Saxena.
(idw) / Bild: Institut für Zellbiologie, Universität Bern[content_block id=29782 slug=ena-banner]