Medizin-Apps Wenn das Smartphone zum Doktor wird Apps können heute mehr als Schritte zählen: Sie behandeln Tinnitus und prüfen, ob ein Leberfleck bösartig ist. Doch wie seriös ist das?

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Und wo ist der weiße Kittel Der ärztliche Berater von heute kommt oft in neuem Kleid daher, Bild dpa

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Wenn Wolfgang Mondorf wissen will, wie es seinen Patienten geht, fährt er einfach seinen Laptop hoch. Dort findet der Spezialist für Hämophilie – auch Bluterkrankheit genannt – alles, was er braucht: Sind Blutungen aufgetreten? Wenn ja, wo? Wie viele Einheiten des Präparats hat sich der Patient daraufhin gespritzt? All diese Informationen bekommt er direkt vom Patienten, der in einer App von zu Hause aus jeden Vorfall dokumentiert. Bei Auffälligkeiten kann Mondorf ihn jederzeit kontaktieren.

Britta Beeger Folgen:

Das war nicht immer so. In einem Regal in Mondorfs Praxis im Frankfurter Süden liegt noch ein Relikt aus der Vergangenheit: ein kleines Notizheft aus Papier, wie er es seinen Patienten früher mitgab. Bluter dürfen sich zu Hause selbst behandeln. Wenn eine Blutung auftritt, verabreichen sie sich ein Präparat mit dem Gerinnungsfaktor, der ihnen fehlt. Sie müssen jedoch jeden Schritt genau dokumentieren. Doch die Hefte waren Mondorf zufolge nicht nur unübersichtlich: „Da konnte es auch passieren, dass ich sah, dass ein Patient vor drei Monaten eine Magenblutung hatte. So etwas ist ein Notfall. Heute würde ich ihn sofort anrufen.“

Die „Smart Medication“ App, die neben Mondorf 38 Zentren und 630 Patienten in Deutschland und der Schweiz verwenden, ist nicht das einzige Beispiel dafür, wie die Digitalisierung die Medizin verändert. Vor allem in der Betreuung chronischer Krankheiten könnte sie einen festen Platz einnehmen. Die meisten Initiativen in diesem Bereich stammen bislang jedoch von privaten Anbietern, die Politik beginnt erst, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Zwar hat der Bundestag im Dezember das E-Health-Gesetz verabschiedet. Doch geht es dabei vor allem darum, die elektronische Gesundheitskarte für weitere Zwecke zu öffnen. Zum Thema Apps hat Gesundheitsminister Gröhe nun eine Studie in Auftrag gegeben, die erstmals einen strukturierten Überblick geben soll: Wie steht es um den Datenschutz? Wie transparent sind die Angebote? Und wie ist ihre medizinische Qualität?

Sind die Apps vertrauenswürdig?

Das scheint auch dringend nötig, denn die kleinen Anwendungen für das Smartphone können längst mehr als nur Schritte zählen und den Puls messen. Mit ihrer Hilfe können Diabetiker berechnen, wie viel Insulin sie sich spritzen sollen; man kann überprüfen, ob es sich bei einem Leberfleck um Hautkrebs handelt, soll Depressionen frühzeitig erkennen und kann sich vor Herzinfarkten warnen lassen. Rund 100.000 Medizin-Apps sind nach der Beobachtung von Fachleuten auf dem Markt, etwa 1000 neue kommen jeden Monat hinzu. Sie machen das Smartphone zum Doktor – aber sind sie auch vertrauenswürdig?

Grundsätzlich gilt: Medizin-Apps, die der Diagnose, Therapie oder Prävention von Krankheiten dienen, müssen in Deutschland strenge Auflagen erfüllen, sowohl was die Sicherheit als auch die Wirksamkeit betrifft. Ob eine Anwendung eine Medizin-App ist oder nicht vielleicht eher eine Gesundheits-App, für die all diese strengen Anforderungen nicht gelten, entscheidet allerdings jeder Hersteller selbst. Das kontrolliert erst mal keiner: Jeder Anbieter kann ohne behördliche Genehmigung Programme in die App Stores von Apple oder Google hochladen, so dass sie für jeden frei zugänglich sind. Erst wenn sie auf dem Markt sind, werden die Überwachungsbehörden des zuständigen Bundeslandes tätig – so denn auffällt, dass einem Angebot die nötigen Zertifizierungen fehlen.

© , Deutsche Welle Das Geschäft mit digitalen Gesundheits-Helfern boomt

Berechnung der Insulindosis: Nur eine Anwendung funktionierte problemlos

„Es gibt durchaus Apps, die für die Diagnostik und Therapie gedacht, aber nicht als Medizin-App gekennzeichnet sind“, sagt Urs-Vito Albrecht von der Medizinischen Hochschule Hannover, Leiter der vom Gesundheitsministerium geförderten Studie. Woran das liegt? „Es ist gut möglich, dass manche Hersteller die gesetzlichen Vorgaben nicht kennen“, sagt Albrecht. „Manche umgehen sie aber vielleicht auch bewusst.“

Das kann ernsthafte Folgen haben. So fanden Forscher heraus, dass eine Mehrheit der Apps zur Berechnung der Insulindosis von Diabetikern zu falschen Empfehlungen beitragen kann, die „Nutzer dem Risiko sowohl einer katastrophalen Überdosis als auch schleichender Schäden aufgrund einer suboptimalen Glucosekontrolle aussetzen können“. Von 46 getesteten Anwendungen funktionierte nur eine problemlos. In einer weiteren Studie zeigte sich, dass von vier Anwendungen, die anhand von Fotos eines Leberflecks bösartige Veränderungen erkennen wollen, nur eine zuverlässige Ergebnisse lieferte. Die anderen drei stuften in mindestens 30 Prozent der Fälle bösartige Melanome als unbedenklich ein.

Was also kann die Politik tun? Diese Frage treibt auch Jörg Land um, Mitgründer und Geschäftsführer des hinter dem Programm „Tinnitracks“ stehenden Unternehmens. Tinnitracks bietet eine Therapie für Menschen mit Tinnitus, die auf einer wissenschaftlich geprüften Methode basiert. Betroffene hören dabei Musik, aus der ihre individuelle Tinnitusfrequenz herausgefiltert wurde. So soll das Gehirn den störenden Ton verlernen. Tinnitracks ist offiziell als Medizinprodukt gekennzeichnet, „ein riesiger Aufwand“, wie Land sagt. Aber nötig: „Ich möchte auch nicht mit etwas behandelt werden, das nicht den Grundregeln entspricht.“

Doch wie man sicherstellen kann, dass sich an diese Regeln alle halten, dafür hat er auch kein Patentrezept. Am Dienstag traf er Gesundheitsminister Gröhe in Berlin. Was er sich von ihm vor allem erhofft: dass Apps als Teil des medizinischen Versorgungsalltags in Deutschland aufgenommen und von den Krankenkassen flächendeckend erstattet werden. Das würde sich auch der Frankfurter Arzt Wolfgang Mondorf wünschen. Die Kosten der App, die er zum Monitoring seiner Patienten mit der Bluterkrankheit verwendet, werden von keiner Kasse erstattet. Er hat deshalb nun einen gemeinnützigen Verein gegründet, der Spenden sammelt. Nötig sind 80.000 bis 100.000 Euro im Jahr. Quelle: Xing, Britta Beeger[content_block id=29782 slug=ena-banner]

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Über Leonard Wüst

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