Erlebnisbericht: Abenteuertrip statt Kulturreise
Ich habe mir vorgenommen, solange ich noch selbständig reisen kann, vorläufig nur noch Städte und Orte zu besuchen, wo ich bis anhin noch nie war. Das hat letztes Jahr mit meinen Trips nach Barcelona im Februar, Salzburg/Wolfgangsee (Juni) und Amsterdam im September sehr gut funktioniert und gepasst, ausser das Wetter in Amsterdam. Gut untergebracht in Appartements, im Falle Salzburg Hotels, konnte ich mein vorgesehenes Programm durchziehen, die programmierten Events besuchen und noch ein wenig Sightseeing machen, also das Nützliche/Notwendige mit dem Angenehmen verbinden. Dies hatte ich auch für meine diesjährige Fasnachtsflucht so vorgenommen und den Flug nach und das Appartement in Athen ausgesucht und gebucht. Die Anreise am Mittwoch hat reibungslos geklappt und ich wurde von der netten Appartementvermieterin Angelica Sambaniotis persönlich an der Metrostation Kerameikos abgeholt und zur Wohnung gefahren. Diese erwies sich als der Einrichtung und Bildern entsprechend, die im Internet beschrieben und gelistet waren. Bei der Verbindung meines Laptops mit dem WLAN Internet funktionierte etwas nicht und Angelica stellte mir spontan ihren Rechner zur Verfügung bis der meine richtig installiert war. Der Anfang war also vielversprechend und erfreulich, so machte ich mich denn, die benötigten Geräte installiert, auf den ersten Erkundungsrundgang. Also mal zur nächsten Metrostation zum Erwerb der für die Zeit meines Aufenthalts benötigten Fahrscheine. Die diversen, um und in der Station angebrachten Plakate verkündeten einen landesweiten Generalstreik für den kommenden Tag. Ich fühlte mich in Italien angekommen, war aber in der griechischen Hauptstadt, ein weiterer Dämpfer in meiner Planung des Aufenthaltes. Im Vorfeld hatte ich schon recherchiert, welche Konzerte, Opernaufführungen etc. in dieser Woche programmiert waren. Die Bilanz war ernüchternd. Ausser einem kurzen Mittagskonzert am Sonntag, ein sogenanntes „Pocket Concert“, war nichts gelistet, also waren wohl Museen Besuche angesagt. Da ich ja an diesen Umständen nichts ändern konnte, war die Bilanz des ersten Tages, nach einem Essen in einem, kulinarisch auch nicht grad Akzente setzenden Restaurant, schon sehr ernüchternd, zumal ich mir beim Entpanzern der Garnelen auch noch das Jackett bekleckert hatte. Glück im Unglück, dass nur ein paar Meter von der Wohnung entfernt eine chemische Reinigung war, am nächsten Nachmittag konnte ich das Jackett gereinigt wieder abholen und zu Fuss die Stadt erkunden, soweit die Füsse tragen (Streik sei Dank). Dabei geriet ich auf dem Syntagma Platz mitten in eine Grossdemonstration der Gewerkschaften und hatte Mühe, wieder aus diesem Gedränge herauszukommen, vor allem, weil es am Rande zu einzelnen Provokationen und Scharmützeln zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften kam. Freitag und Samstag dann fast normales Sightseeing. Am Sonntagmittag dann das Konzert im „Stavros Niarchos Foundation Cultural Visitor Center“ etwas ausserhalb der Stadt, aber für Konzertbesucher mit einem Shuttle Service bedient. Auf dem grossen Gelände ist, mit Ausnahme des „Visitor Centers“, alles noch im Bau. Geplant vom italienischen Stararchitekten Renzo Piano (u.a. Zentrum Paul Klee, Bern) entsteht hier ein Ort der Begegnung für jedermann mit verschiedensten Projekten im Kulturbereich, dauerhaft oder temporär. So veranstaltete an diesem Sonntag die griechische Nationaloper ein kostenloses kleines Konzert, dargeboten von Solisten ebendieses Hauses, besucht von Leuten aus allen Bevölkerungsschichten. Völlig entspannt empfingen die Protagonisten persönlich die Gäste und plauderten schon vor dem Konzert mit den Besuchern in ungezwungener Atmosphäre. Während einige der ungefähr hundert Besuchern in Abendrobe erschienen, spielte ein Vater entspannt und geräuschvoll mit seinen Kindern im Empfangsbereich, was aber niemanden störte. Pünktlich eröffneten die Pianistin Sophia Tamvakopoulou und die Sopranistin Georgia Iliopoulou mit „Somewhere“ aus Leonard Bernsteins „West Side Story“ das Konzert, gefolgt vom Tenorsolo (Yannis Christopoulos) „Amarilli, mia bella“ von Giulio Romano Caccini, dann wieder die Sopranistin mit „Je te veux“, einem Walzer von Erik Satie und „Après un rêve“ von Gabriel Fauré, das Ganze abschliessend gekrönt mit dem Duett “Lippen schweigen“ aus „Die lustige Witwe“ von Franz Lehar. Das Publikum bedankte sich mit langanhaltendem begeistertem Applaus und wurde dafür mit einer kurzen Zugabe belohnt. Auch nach dem Konzert mischten sich die Künstler unters Publikum, liessen sich gutgelaunt fotografieren und beantworteten geduldig und ausführlich die verschiedenen Fragen, scherzten mit fröhlichen Kindern. Ein gelungener Event, der, mit relativ geringem Aufwand, viel Goodwill schaffte, exklusiv der Rahmen, trotzdem volksnah und in keiner Weise abgehoben in der Ausführung. Pünktlich wurden wir mit dem Shuttle vom freundlichen Chauffeur wieder in die Innenstadt retour gebracht. Diese war stark bevölkert durch Besucher der diversen Märkte, die fast auf allen Plätzen der Stadt am Wochenende stattfinden, ein buntes Treiben. Angeboten wird fast alles, vom selbstgebastelten Stofftier über vermeintliche und wirkliche Antiquitäten bis hin zu Kitsch und Kunst, aufgelockert durch jede Menge Imbiss- und Getränkestände mit Spezialitäten aus aller Welt. Fast hatte ich mich wieder mit den Griechen versöhnt aber noch lagen zwei Tage vor mir. Ursprünglich hatte ich vorgesehen am Dienstag den Hafen von Piräus zu besuchen, entschloss mich aber, da gutes Wetter war, schon montags mit der Metro hinzufahren und dann am Dienstag das ebenso imposante, wie interessante Akropolis Museum zu besuchen. Nach einer ca. zwanzigminütigen Fahrt vom Thissio mit der Metro gut in der Hafenstadt angekommen, herrschte im Bahnhof plötzlich eine Aufregung und Durcheinander. Plötzlich stürmten ca. ein Dutzend Sicherheitskräfte in voller Kampfmontur (Schutzweste, Helm etc.) mit Maschinenpistolen im Anschlag den Bahnhof und begannen den, zur Abfahrt bereiten, fast vollen Zug zu evakuieren. Ständig trafen noch mehr Sicherheitskräfte mit Kleinbussen und Motorrädern ein, sodass schlussendlich wahrscheinlich eine Hundertschaft vor Ort war. Nachdem ich, wie alle andern auch, zuerst das Geschehen interessiert verfolgt hatte, statt schnellstmöglich das Gebäude zu verlassen, begab ich mich dann in ein gegenüberliegendes Café um eventuell zu erfahren, was denn los sei. Dort wusste man natürlich auch nicht mehr, aber nachdem einige jüngere Männer aus dem Bahnhof abgeführt wurden, erhärtete sich der Verdacht, dass die Aktion möglicherweise in Zusammenhang mit Terrordrohungen stand. Als der Bahnhof wieder den Normalbetrieb aufnahm, machte ich mich so schnell wie möglich in die Metro retour nach Athen. Mein Bedarf an Abenteuerferien war damit endgültig mehr als gedeckt und die Versöhnung mit den Hellenen definitiv gescheitert. Der am Dienstag folgende Besuch im Akropolis Museum war dann sehr interessant und lehrreich, konnte aber meine Ansicht über die Kummerbuben Europas auch nicht mehr im positiven Sinne zurechtrücken. Zum negativen Höhepunkt hätte noch die griechische Bürokratie am Flughafen etwas beitragen können, man liess mich dann aber, trotz einer seit einer Woche abgelaufenen Identitätskarte, ausreisen. Fazit: es muss nicht immer etwas Neues sein, diesmal wäre etwas Vertrautes in wärmeren Gefielden (Lissabon, Rom, Neapel) die bessere Wahl gewesen.
Kleine Fotogalerie des Pocket Concerts im Stavros Niarchos Foundation Cultural Visitors Centers am 7. Februar 2016 und kleine Fotogalerie über die Erstürmung und die Evakuation des Bahnhofes in Piräus durch Sicherheitskräfte am 8. Februar 2016:
Stavros Niarchos Foundation Cultural Center:
Text und Fotos www.leonardwuest.ch Wikipedia und Stavros Niarchos Foundation Cultural Center
www.gabrielabucher.ch Paul Ott:www.literatur.li