Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, So stellen die Bregenzer Festspiele die „Carmen“-Aufführungen sicher

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Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

Der erste Ton der Aufführung des Vortags ist noch nicht einmal erklungen, beginnt schon der Countdown für die darauf folgende Carmen-Vorstellung. Um das Bregenzer Spiel auf dem See sicherzustellen, gilt unter anderem für alle Mitwirkenden eine vertragliche 50-Kilometer-Regel. Aus guten Gründen sind die Rollen mehrfach besetzt.

Während ihres Engagements bei den Bregenzer Festspielen sollen sich Künstler nur innerhalb eines 50-Kilometer-Radius um Bregenz aufhalten. „Fällt jemand kurzfristig aus, soll der Ersatz schnell hier sein“, erklärt Operndirektorin Susanne Schmidt, „viele mieten sich für ihre Zeit in Bregenz ein Fahrrad – das empfehlen wir auch –, weil das die schnellste Art ist, sich zwischen Lochau–Bregenz–Hard zu bewegen.“

Steigender Adrenalinspiegel

Passieren kann immer was und das Zeitfenster knapp werden. Selbst wenn man weiß, wo sich die gesuchte Person in der Nähe aufhält. Susanne Schmidt: „Vergangenes Jahr hatten wir so etwas erlebt. Eine Sängerin hatte sich zwei Stunden vor Beginn warm gesungen und gemerkt, dass die Stimme nicht ganz ansprach. Ihre Kollegin, die einspringen sollte, war für uns bei einem Sponsoring-Event auf der Hohentwiel weit auf dem Bodensee. Keine Handy-Verbindung. Unser Bühnenmeister erreichte dann den Kapitän über Funk. So konnte sich die Sängerin innerlich schon darauf einstellen, dass Kostüm und Maske bereits auf sie warten, sobald sie am Steg anlegt. Das sind Vorkommnisse, die möchte man nicht zu oft haben. Da steigt dann schon das Adrenalin.“

Zu den Vorkehrungen gilt für das Spiel auf dem See folgende Daumenregel: Wer große Arien und Duette hat, wird dreifach besetzt, die anderen Rollen werden zweifach besetzt. „Selbst wenn alles glatt läuft, möchten wir nicht, dass jemand die großen Rollen jeden Abend singen soll. Das wäre zu belastend. Das muss man auf mehrere Schultern verteilen. Mal ist es eine sehr trockene Nacht, mal kann es kalt werden, und die Künstler wissen, bei uns wird am Ende getaucht… sie werden richtig nass! Deshalb kann es immer vorkommen, dass sich jemand verkühlt. Dann brauche ich einen Puffer.“

„Unser Masterplan“

Es ist eine riesige Excel-Tabelle („Unser Masterplan“, Schmidt), auf der vor 14 Tagen die Einsätze aller Künstler fixiert wurden. Im Verlauf des Probenprozesses wurden dazu für die drei Hauptrollen feste Trios gebildet und gleichmäßig auf die Festspielsaison verteilt: „Der gleiche Don José singt mit der gleichen Carmen und der gleichen Micaëla.“ Soweit die Theorie. Sie geht nicht immer auf, wenn eine Künstlerin oder ein Künstler zwischendurch zu einem Konzert, zu einem Vorsingen oder einer CD-Aufnahme muss. Die Kernfrage für die Operndirektorin lautet dann, tauscht man dann das ganze Trio auf einen anderen Platz oder nimmt man nur die eine Person heraus? „Carmen und Don José tausche ich lieber gemeinsam, weil sie für den Sterbeakt, die Ertränkungsszene gut aufeinander eingespielt sind.“ Geprobt wird dennoch auch über Kreuz, damit alle aneinander gewöhnt sind.

Bei Anruf „under the weather“

Um Carmen glatt über die Bregenzer Seebühne zu bringen, stehen an Aufführungstagen rund 400 Personen im Einsatz. Der organisatorische Aufwand im Hintergrund ist entsprechend groß. Allein auf der Seebühne müssen etwa 250 Mitwirkende, Techniker und „gute Geister“ zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. „Unsere Bibel“, erläutert Susanne Schmidt, „ist der ,Tagesprobenplan’, der soll idealerweise bis 15 Uhr für den Folgetag rausgehen.“ Erfahrene Künstler merken sehr früh, dass sich eine Erkältung anschleicht und rufen schon am Vortag an. Dann wird ein Kollege oder eine Kollegin auf „Stand-by“ gesetzt. Hier kommt wieder die 50-km-Regel ins Spiel. „Ansonsten heißt es, sie sollen sich bis 12 Uhr am Tag der Aufführung melden, ob sie sich unwohl fühlen, ,under the weather’, wie man englisch sagt. Ansonsten gehen wir davon aus, dass die geplante Besetzung abends singt.“

Dass das Räderwerk schon mehr als 24 Stunden in Gang gesetzt wird, „ist dann besonders wichtig, wenn wir einen wirklich dauerhaft kranken Sänger haben und vielleicht einen neuen einfliegen und ihn nachproben müssen.“ Eine absolute Ausnahme, aber auch sie gab es schon. In einem solchen Fall muss man mit dem Team besprechen, wann man ihn am nächsten Vormittag, Mittag oder Nachmittag einstudiert.

„Sie sind sehr basic, das ist alles andere als glamourös“, sagt Susanne Schmidt. Auch die Statisten und Choristen werden auf der Seebühne vorbereitet, nachdem sie sich Kontaktperson für die Künstler ist die Company Managerin. Sie schaut auch dazu, ob alle pünktlich in der Maske sind und hakt notfalls nach. Eigene WhatsApp-Gruppen dämpfen den Stresspegel. Maskentermin für die meisten großen Rollen ist etwa zwei Stunden vor Beginn im Festspielhaus. Für Feindetails sowie aufwändige Kostüme wird in den kleinen Garderoben auf der Seebühne Hand angelegt. Dort gibt es keine Klimaanlage oder Heizung. in einem schalterähnlichen Minibüro angemeldet haben. So wird sichergestellt, dass niemand fehlt. Am längsten Zeit haben die Wiener Symphoniker und der Prager Chor. Sie agieren im Festspielhaus und kommen bereits in ihrer Arbeitskleidung. Für sie ist Deadline eine halbe Stunde vor der Ouvertüre.

Dann, wenn alle, die am See singen, über den Steg sein müssen. Das Publikum soll vom Gewusel, das einer so großen Produktion vorangeht, unbehelligt bleiben.

Standleitungen zu den Wetterwarten

Die Operndirektorin ist in der Regel ab 19 Uhr im Areal. 20 Uhr ist Fixtermin in einem zum See offenen Fensterraum, den die Bregenzer Festspiele „Wetterküche“ getauft haben. Über die Bildschirme laufen Wetterprognosen und es existiert eine Telefonverbindung zur Wetterwarte Nach Zürich. Von ihnen lässt sich das Team bestätigen, ob man die Radarbilder richtig interpretiert hat. „Wenn das Wetter ruhig ist, zerstreuen wir uns alle noch einmal, gehen unseren Sachen nach, rufen in der Maske ,Toi! Toi! Toi!’. Ist es unruhig, dann kleben wir oft in der Wetterküche fest. Dann muss man die Platzsprecherin informiert halten, den Abendspielleiter und natürlich das Publikumsservice“, schildert Susanne Schmidt die wenigen Abende, die eine À-la-minute-Entscheidung erfordern, ob gespielt werden kann oder nicht. Gewitter und eine bestimmte Windstärke sind No-gos.

Fahrplan für Alternative

Carmen ist open-air. Das beeinflusst auch den Ablauf in Details wie diesen: Tritt der Torero heute Abend im Boot stehend auf oder einfach von links auf der Bühne? Das hängt vom vorausgesagten Wellengang ab. Auch für diese Entscheidung ist der Zeitpunkt in einem eigenen Fahrplan für die alternative Regie festgesetzt.

www.bregenzerfestspiele.com/ www.leonardwuest.ch

 

Dieser Beitrag wurde am von unter kultur allgemein, musik/theater/ausstellungen, weltweit veröffentlicht.

Über Leonard Wüst

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