Die perfekte Lösung gibt es nicht
Das Energiespiel richtete sich zunächst an die Einwohner von Zernez sowie an Entscheidungs-trägerinnen und -träger auf kommunaler Ebene. Weiterentwickelt wurde es aber primär für Schülerinnen oder Studenten, die sich mit der Komplexität der Thematik vertraut machen möchten. «Die technischen Details der Energieproduktion stehen nicht im Vordergrund, sondern die gemeinsame, spielerische Suche nach Strategien zu ihrem nachhaltigen Umbau», sagt Co-Projektleiter Uwe W. Schulz vom Departement Technik & Architektur der Hochschule Luzern.
Das Spiel liefere dabei keine perfekten Lösungen, so Schulz weiter. «Politik, Energieversorger und Einwohnerschaft haben teilweise konträre Interessen. Es gilt einen Ausgleich zu finden zwischen den verschiedenen Gruppen, genau wie in der Realität», erläutert er: Reicht es beispielsweise, für wenig Geld Gebäude zu sanieren? Oder ist es doch besser, die Gebäude mit Solaranlagen zu bestücken? Diese senken den CO2-Vebrauch viel stärker, allerdings beeinträchtigen sie das Ortsbild und schaden damit unter Umständen dem Tourismus. Erst wenn im Team Konsens herrscht, welcher Schritt als nächstes in Angriff genommen werden soll, geht das Spielt weiter.
Wenn der Computer Buch führt
An der Umsetzung des Brettspiels ins digitale Format war massgeblich das Forschungsteam Immersive Realities Research Lab am Departement Informatik beteiligt. Für Co-Projektleiter Richard Wetzel galt es, beim Umsetzen die Balance zwischen dem Spielgefühl des ETH-Originals und den Anforderungen an ein Computerspiel zu finden.
Er gibt ein Beispiel: «Wenn man in der Brettspielvariante darüber diskutiert, ob man ein neues Holzschnitzelheizwerk bauen möchte, zeigt man einfach mit dem Finger auf die entsprechende Stelle. Das geht nicht, wenn die Teammitglieder am anderen Ende der Welt sitzen.» Wetzel und sein Team entwickelten eine simple Lösung für dieses Problem: Per Maus werden digitale Spielfiguren übers Spielfeld bewegt; man «zeigt» also mit seinem Avatar, wo man bauen möchte.
Weiterentwicklung für die breite Öffentlichkeit geplant
Uwe W. Schulz und Richard Wetzel freuen sich, dass sie in Dubai dank Sarnetz einem internationalen Publikum die «Schweizer Methode» zum Erreichen einer nachhaltigen Energieversorgung zeigen können; dies anschaulicher, als es mit Broschüren oder Präsentationen möglich wäre. Die beiden Forscher möchten das Game weiterentwickeln.
In einem nächsten Schritt soll das Spielprinzip auf andere Gemeinden und auf Stadtquartiere übertragen werden. Geplant sind auch zusätzliche Komfortfunktionen wie eine integrierte Chatfunktion (aktuell tauschen sich Spielerinnen und Spieler über die Kommunikationsplattform Zoom aus). Fernziel ist die Entwicklung einer Spielvariante als Lernwerkzeug für die breite Öffentlichkeit.
Vom Tisch auf den Bildschirm
Seinen Anfang nahm Sarnetz als Brettspiel: 2015 entwickelte es die ETH Zürich als Teil des Projekts «Zernez ENRGIA 2020». Die im Spiel genutzten Daten zu Gebäudegrössen, Energieverbrauch und den Gebäudeheizungen basieren auf realen Werten.
Auf Initiative der Schweizer Botschaft in Japan kreierte das Forschungsteam um Uwe W. Schulz und Richard Wetzel eine digitale Variante des Spiels für den Schweizer Pavillon an den Olympischen Sommerspielen 2021 in Tokio, der aber Corona-bedingt abgesagt wurde. Weltpremiere feierte Sarnetz daher im September an mehreren japanischen Universitäten, wo Studierende es testen konnten. Das Spiel läuft seit Anfang November an der Weltausstellung in Dubai. Die nächste Vorführung findet am 6. Januar 2022 statt.
Das Computerspiel entstand im Rahmen des Interdisziplinären Themenclusters Raum und Gesellschaft, mit dem die Hochschule Luzern departementsübergreifende Forschungsprojekte fördert. Es wurde von der Schweizerischen Botschaft in Japan sowie vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI des Bundes finanziell unterstützt.[content_block id=45503 slug=unterstuetzen-sie-dieses-unabhaengige-onlineportal-mit-einem-ihnen-angesemmen-erscheinenden-beitrag]