Besetzung
Musikalische Leitung Marc Albrecht Inszenierung Sebastian Baumgarten Bühnenbild Thilo Reuther Kostüme Christina Schmitt Lichtgestaltung Elfried Roller Video Philipp Haupt Choreinstudierung Janko Kastelic Choreografie Sebastian Zuber Dramaturgie Claus SpahnTurandot Sondra Radvanovsky Altoum Martin Zysset Timur Nicola Ulivieri
Calaf PiotrBeczała Liù Rosa Feola Ping Xiaomeng Zhang
Pang Iain Milne Pong Nathan Haller Ein Mandarin Jungrae Noah Kim
Philharmonia Zürich Chor der Oper Zürich Chorzuzüger Zusatzchor des Opernhauses Zürich
Turandot: Nicht nur ‘Nessun dorma’
Wir alle wissen, dass ‘Nessun Dorma’, die grosse Arie des Prinzen Calaf, der absolute Hit in Puccinis Oper ‘Turandot’ ist; für alle Opernliebhaber, aber nicht nur. Wir wissen anderseits ebenfalls, dass auch die ganze Oper eine der meistgespielten in allen Theatern der Welt ist. Vielleicht weil sie zu einem Genre gehört, das schwer zu definieren ist: eine dunkle Liebesgeschichte, eine involvierende Seifenoper, ein Thriller, ein Märchen, ein Gender-Drama, das den ewigen Kampf zwischen Mann und Frau beschreibt. Jedenfalls eine Mischung, die jedem Opernhaus Erfolg und dem Publikum Genuss sichert.
Eine Prinzessin und ihre Rätselfragen
Das Libretto von Giuseppe Adami und Renato Simoni nach einer Fragment-Fassung von Carlo Gozzi erzählt von der schönen Prinzessin Turandot, welche die schreckliche Gewohnheit hat, all jene zu töten, die in sie verliebt sind, jedoch nicht imstande sind, ihre drei Rätselfragen zu lösen. Eines Tages gelingt es Calaf die richtigen Antworten zu finden ………. Aber wir wollen ja nicht die ganze Geschichte erzählen….
Die neue Zürcher Produktion
Wir möchten nur berichten, dass am letzten 18. Juni eine neue Produktion von Giacomo Puccinis Publikumsliebling auch am Opernhaus Zürich Première feierte, auf welche Weise und wie. Marc Albrecht erstmals am Pult des Opernhauses und Regisseur Sebastian Baumgarten hatten ein überaus interessantes Opernspektakel versprochen, und ihr Versprechen wird gehalten: die neue Operninszenierung ist bestimmt eines der grossen Kulturevents dieses Zürcher Sommers. Der Deutsche Maestro zeigt seine Liebe zu den Klangfarben des Italienischen Komponisten, und leitet mit Enthusiasmus die ‘Philarmonia Zürich‘ durch die schillernde Partitur. Präzis folgen ihm die Musiker sowie die Sänger: alle, ohne Ausnahme, begeistern von Anfang bis zum Schluss das zahlreiche, aufmerksame Publikum.
Eine hochkarätige Besetzung
Zum Erfolg der Vorstellung trägt relevant die Sopranistin Sondra Radvanovsky bei, zum ersten Mal in der kurzen aber äusserst schwierigen Titelrolle. Mit ihrer atemberaubenden, ausdrücklichen Stimme, aber auch mit grossem Einfühlungsvermögen, interpretiert sie eine durch die Traumata ihres Vorlebens verunsicherte Frau, eher als die düstere, mordlüsterne Prinzessin. Sehr glaubwürdig Piotr Beczala, der auch gerade in dieser Produktion sein Rollendebüt als mutiger Prinz Calaf gibt: an der Première war er stimmlich nicht immer makellos, aber es ist nach wie vor ein grosses Vergnügen den polnischen Star-Tenor zu hören und zu sehen. Sehr gut, aber unserer Meinung nach vor allem szenisch, Rosa Feola, als getreue Dienerin Liù. Natürlich waren die Zuschauer besonders nach „Tu, che di gel sei cinta“ berührt. Mit diesem Einsatz feiert sie ebenfalls ihr Opernhaus-Debüt. Zum Cast gehören auch Martin Zysset, tadellos als Imperatore Altoum, Nicola Ulivieri als Timur, Xiaomeng Zhang als Ping, Iain Milne als Pang, Nathan Haller als Pong und Jungrae Noah Kim als ein Mandarin. Gewaltig auch die Leistung des von Janko Kastelich meisterhaft vorbereiteten ‘Chor der Oper Zürich’ (zusammen mit Chorzuzügern, Zusatzchor, SoprAlti und Kinderchor des Opernhauses Zürich).
Science-Fiction, Bienen und Kriegsbilder
Für diese ‘Turandot’ konnte das Opernhaus den Berliner Sebastian Baumgarten verpflichten, dessen Regiekonzept sicher alles andere als konventionell ist. Ohne jenes orientalische Kolorit, das fast alle Turandot-Produktionen charakterisiert, kann Baumgartens Inszenierung von Puccinis letzter Oper gefallen oder nicht, aber sie ist sicher einzigartig. Dem Regisseur und seinem hochkarätigen Team gelingt es voll und ganz, das Werk aus Umfeld und Zeit eines wenig plausiblen Chinas loszulösen. Sowohl mit Thilo Rheuters Bühnenbild, mit Christina Schmitts Kostüme, mit Sebastian Zubers etwas zu sehr im Takt mit der Musik stehenden Choreographien als auch mit Philipp Haupts Videos, wird das Publikum hingegen mit Science-Fiction einerseits, mit Kriegs- und Machtbildern, mit faschistischen Uniformen und Strukturen im Vorder- und Hintergrund konfrontiert. Dazu mit einem Bienenstock, wo die ‘Bienenkönigin’ Turandot wohnt und ihre Rache vorbereitet.
E qui il Maestro è morto
Ohne zu sprechen von den nicht sehr verständlichen Projektionen auf einem Blatt Papier (eines Kalenders? Einer Agenda? Eines Notizbuchs?) und von Texten, die eingeblendet werden zwischen den einzelnen Akten. Eine Verbindung zwischen der Oper und Puccinis Biografie, welche wirklich nicht notwendig ist. Mit anderen Worten, eine überladene Bühne, mit allzu vielen Verzierungen, Einfällen und Assoziationen. Viel zu viel; “Troppa carne al fuoco” würden die Italiener sagen. Und am Schluss noch ein letzter Satz in grossen Buchstaben “Hier endet die Aufführung, da der Maestro an diesem Punkt verstarb”, jene Aussage, mit welcher Toscanini 1926 die Uraufführung der Oper nach Liùs Tod beendete. Franco Alfanos nachkomponierter Schluss wurde in der Tat erst in späteren Aufführungen von ‘Turandot’ gespielt. In Zürich endet die Vorstellung ebenfalls an dieser Stelle, das heisst nach Liù Selbstmord: die Dienerin stirbt und Calaf und Turandot bleiben stumm zurück und schauen sich tief in die Augen.
Anlässlich der Première reagierten die zahlreichen Zuschauer gegenüber allen anderen Künstlern mit Enthusiasmus, während das Regieteam ein paar Buhrufe erntete. (Bis zum 8. Juli, jedoch auch noch 4 Aufführungen im Jahr 2024)
Text: https://marinellapolli.ch/
Fotos: Monika Rittershaus www.opernhaus.ch
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