Einige Luzernerinnen und Luzerner litten lange unter behördlich angeordneten fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen. Mehrere Petitionen an den Kantons- und Regierungsrat haben dieses dunkle Kapitel des systematischen Fehlverhaltens von Behörden wieder stärker ins Bewusstsein zurückgebracht. Der Regierungsrat bittet das Opfer nun umfassend um Entschuldigung. Die Sozialkommission des Kantonsrates regt außerdem an, seitens Regierungsrat über die Konferenz der Sozialdirektorinnen und -direktoren (SODK) einer Ungleichbehandlung der Opfer durch kantonale Solidaritätsbeiträge entgegenzuwirken.
Bis in den 1980er-Jahren haben in der Schweiz und auch im Kanton Luzern behördlich angeordnete fürsorgerische Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen viel Leid verursacht. Betroffene erlebten dabei physische und psychische Gewalt, Demütigungen und Missbrauch. 1981 wurde das revidierte Vormundschaftsrecht in der Schweiz in Kraft gesetzt. Dies hatte zur Folge, dass die sogenannten Versorgungsgesetze in den Kantonen aufgehoben wurden. Ab diesem Zeitpunkt fanden keine neuen Versorgungen mehr statt. Bund und Kantone solidarisierten sich danach mit den Betroffenen. Ihr Engagement mündete im Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981, das am 1. April 2017 in Kraft getreten ist. Dieses Gesetz schuf die Voraussetzungen, dass die Opfer Anspruch auf einen eidgenössischen Solidaritätsbeitrag haben. Bis Ende Dezember 2024 wurden schweizweit 11’002 Gesuche für einen Solidaritätsbeitrag gutgeheissen, was die Auszahlung seitens Bund von Beiträgen in der Höhe von rund 275 Millionen Franken nach sich gezogen hat.
Vorhandene Maßnahmen zur Aufarbeitung des Unrechts
Im Kanton Luzern wurden bereits in der Vergangenheit verschiedene Massnahmen zur Aufarbeitung des begonnenen Unrechts durch fürsorgerische Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 ergriffen. So können sich Betroffene seit mehr als zehn Jahren an die kantonale Opferberatungsstelle wenden. Mehr als 800 Personen nutzten bisher dieses Angebot. Und das Staatsarchiv Luzern unterstützt Betroffene bei der Suche nach Akten zum Thema. Über 900 Personen meldeten sich bisher beim Staatsarchiv, um sich bei der Aktenbeschaffung helfen zu lassen.
In der Vermittlung – also der öffentlichen Bekanntmachung der Geschichte der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen – hat der Kanton Luzern diverse Massnahmen umgesetzt. 2012 ist der vom Kanton Luzern im Auftrage «Bericht Kinderheime im Kanton Luzern gegeben im Zeitraum von 1930-1970» erschienen. Er beleuchtet ein Teilgebiet der Geschichte fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen. Der Regierungsrat hat sich 2012 bei den betroffenen Heimkindern öffentlich entschuldigt (siehe Mitteilung vom 17. März 2011 )
Eine umfassende Entschuldigung an alle Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen im Kanton Luzern ist jedoch noch nicht erfolgt. Der Luzerner Regierungsrat wird in Abstimmung mit der kantonsrätlichen Kommission Gesundheit, Arbeit und soziale Sicherheit (GASK) nachholen. Er bedauert die damaligen Vorkommnisse und die damit verbundenen psychischen und physischen Verletzungen sind zutiefst. „Für das Leid, das den Betroffenen angetan wurde, bitte ich die Opfer im Namen der Luzerner Regierung aufrichtig und umfassend um Entschuldigung“, sagt Regierungsrätin Michaela Tschuor, Vorsteherin des Gesundheits- und Sozialdepartements. Was damals geschehen ist, dürfe nie wieder geschehen.
Petition von Betroffenen
Zwischen November 2024 und Januar 2025 haben mehrere Betroffene von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen beim Kantons- sowie beim Regierungsrat je eine gleichlautende Petition eingereicht. Sie fordern, dass geprüft wird, ob im Kanton Luzern eine gesetzliche Grundlage für einen Solidaritätsbeitrag an Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981 erarbeitet werden soll. Die Petitionärinnen und Petitionäre beziehen sich auf den Kanton Schaffhausen und die Stadt Zürich, die vorsehen, eine Regelung für einen zusätzlichen Solidaritätsbeitrag an Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen zu schaffen oder eine solche bereits umzusetzen. Dadurch erhalten nun Betroffene aus einer bestimmten Gemeinde oder einem einzelnen Kanton eine höhere Entschädigung als andere und es entsteht eine neue Ungleichbehandlung.
Aus Sicht der GASK könnte eine zusätzliche Entschädigungszahlung ein Zeichen der Anerkennung und Würdigung der Betroffenen darstellen. Die Mehrheit der GASK lehnte aber eine Verschärfung der neu entstandenen Ungleichbehandlung durch einen kantonalen Alleingang bei der Zahlung von Entschädigungen ab. Stattdessen ist die Kommission der Ansicht, dass der Regierungsrat über die Konferenz der Sozialdirektorinnen und -direktoren (SODK) darauf hinwirken soll, dieser Ungleichbehandlung koordiniert entgegenzuwirken und über das entsprechende Bundesgesetz wieder eine schweizweit einheitliche Regelung für die Entschädigung herzustellen.
Wanderausstellung «innern für morgen»
Der Regierungsrat wird weiterhin die Vermittlung der Geschichte fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen unterstützen. Ein Beispiel ist die Wanderausstellung «erinnern für morgen», die ab April 2026 im Museum Luzern gastiert. Diese Ausstellung wird die Rolle des Staates im Spannungsfeld zwischen Fürsorge und Zwang veranschaulichen sowie eine Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schlagen.
Bestehende Angebote
Wer Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und/oder Fremdplatzierungen geworden ist, hat Anspruch auf vertrauliche, kostenlose und anonyme Hilfe von der Opferberatungsstelle des Kantons Luzern . Kompetente Fachpersonen geben gerne Auskunft. Betroffene können sich unter der Telefonnummer 041 228 74 00 melden oder Informationen finden Sie auf der Webseite der Opferberatungsstelle .
Betroffene einer fürsorgerischen Zwangsmassnahme und/oder einer Fremdplatzierung haben Recht auf Einsicht in die sie betreffenden Unterlagen. Das Staatsarchiv Luzern hilft Betroffenen kostenlos, diese Unterlagen zu finden. Betroffene können sich unter der Telefonnummer 041 228 53 65 oder über die Webseite des Staatsarchivs Luzern melden.
Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen haben Anrecht auf einen eidgenössischen Solidaritätsbeitrag in der Höhe von 25’000 Franken. Klagen können beim Bundesamt für Justiz eingereicht werden. Suchformulare und Merkblätter sind auf der Webseite des Bundesamts für Justiz zu finden.
Anhang
Petitionen