Besetzung und Programm:
Oslo Philharmonic, Leif Ove Andsnes, Klavier, Vasily Petrenko, Dirigent
Richard Strauss
Don Juan. Tondichtung nach Nikolaus Lenau op. 20 (1887–1888)
Edvard Grieg
Konzert für Klavier und Orchester a-moll op. 16 (1868)
Sergej Rachmaninoff
Symphonie Nr. 2 e-moll op. 27 (1906–1907)
Rezension:
Gelungene Ouvertüre
Es gibt so Abende, da stimmt einfach alles. Die sind zwar eher selten, dafür umso schöner, kostbarer und unvergesslicher. Eine Konzerttournee der Oslo Philharmonic zu dessen 100-jährigen Bestehen machte Halt in der österreichischen Metropole für ein Konzert im Wiener Konzerthaus und brachte als Piano Solisten gleich noch ihren Landsmann Life Ove Andsnes mit an die Donau. Dieser, für mich persönlich einer der momentan interessantesten, aber zugleich auch einer der meistunterschätzten Tastenvirtuosen der Gegenwart. Dass dann im Programm gleich auch noch das Klavierkonzert in A Moll von Edvard Grieg gelistet war, steigerte meine Vorfreude grad nochmal. Wenn das alles zudem noch von Vasily Petrenko geleitet wird, steht einem ungetrübten Konzertgenuss nichts mehr im Wege und so fiel es mir auch nicht besonders schwer, die ebenfalls für diesen 16. Oktober gebuchten zwei Karten für Puccinis «Madame Butterfly» an der Wiener Staatsoper in den Kommissionsverkauf zurück zu geben.
Davor aber orchestrierte Hermann Weinzirl im gleichnamigen Restaurant im Hause auch sein Team zu Spitzenleistungen. Nach einem äusserst herzlichen Empfang durch den Chef persönlich, genossen wir alsbald ein paar der köstlichen, in kleinen Portionen gereichten, auch visuell sehr anregenden Winzierl Schmankerln, wie gebeizten Lachs, Wildscheinschinken mit Kräutervinaigrette, Steinpilzrisotto, Kartoffel Gnocchi mit Cherrytomatensauce, Rehrücken mit Erdäpfelpuree, auf feinem Wildjus mit Brombeeren oder Filets von der Goldforelle mit ihrer Garniture, abgeschlossen mit einem assortierten Dessertteller.
Begleitet durch den Gaumenschmaus wurden wir von den freundlichen, motivierten und sehr aufmerksamen Servicemitarbeiter*innen. Gutgelaunt und wohlgenährt aber nicht vollgestopft, dislozierten wir dann in den grossen Konzertsaal, der bis zu 1865 Personen Platz bietet und bis auf ganz wenige, einzelne Plätze vollbesetzt war von einem erwartungsfreudigen Publikum.
Auf Gaumenschmaus folgt Ohrenschmaus
Don Juan, Tondichtung von Richard Straus nach Nikolaus Lenau
Die Oslo Philharmonic, zur Feier ihres 100jährigen Bestehens auf Europatournee, begrüßte sein Wiener Publikum mit Strauss’ „Don Juan“ – der schwungvoll, energisch, aber nie vorlaut, gar herrisch daherkam. Der umwerfend stürmische Beginn markiert zweifellos den Helden der Geschichte. Wild auffahrend, ein Draufgänger, wie auch jeder Dirigent gleich zu Beginn zu spüren bekommt: Sie sind nicht leicht zu bändigen, die ersten Takte des «Don Juan», der in so rasendem Tempo anhebt, als würde er mit einem Streich die komplette Damenwelt in wohlig-prickelnde Ohnmachten stürzen wollen. Das feurige Thema verbreitert sich, gewinnt an Kraft, wird ungeduldig.
Stürmisch kraftvolles Liebeswerben
Doch plötzlich verliert es sich träumerisch und eine Solo-Violine schwebt über allem: die erste Angebetete betritt die Szene. Das Liebeswerben nimmt seinen Lauf, findet das erstrebte Ziel, und zurück bleibt Ermattung, bevor das nächste Abenteuer losgeht. Diesmal ertönt das Lied des erotischen Opfers in der Oboe. Diese Affäre beginnt ruhiger, doch bald stellt sich auch hier mit mächtigen Hornklängen ein enormes Drängen ein: Der Blechglanz verströmt die unwiderstehliche Kraft des Helden. Die Ermattung folgt auch diesmal, nur stärker. Ein weiteres Mal schwingt er sich auf, doch das Begehren wird wilder, ziellos.
Unbändige Kraft bäumt sich nochmals auf
Erneut ergießt sich die unbändige, fast verzweifelt mobilisierte Kraft in vollmundig-üppigem Orchesterglanz, es folgt ein weiterer Aufschwung mit dem Anfangsthema – doch es führt nirgendwo mehr hin: Diese Erlahmung ist die letzte. Der einzelne Ton der Solo-Trompete wird gern als tödlicher Degenstoß interpretiert, denn jetzt verdämmert alles rasch. «Don Juan» ist in jeglicher Hinsicht am Ende. Der leise, wie absterbende Schluss vermittelt sowohl den Tod als auch die mit der Masse an Liebesabenteuern, dem ständigen Suchen, Finden, der Erschöpfung und der Wiederholung dieses Musters einhergehende Auszehrung, den Verfall des Helden. Das Auditorium zeigte sich sichtlich beeindruckt und äusserte dies mit kräftigem, langanhaltendem Applaus.
Norweger mit Norweger und Norweger in Griegs A-Moll-Klavierkonzert
Frisch und forsch steigt Chefdirigent Vasily Petrenko in das sehr viel gehörte Klavierkonzert des norwegischen Nationalheiligen Edvard Grieg ein, das die Streicher mit dunklen Untertönen, die Holzbläser mit fein abschattierten Pastelltönen, das Blech edel gerundet angehen. Landsmann Leif Ove Andsnes am Flügel wirkst darin so aufgeräumt und gutgelaunt, wie von ihm gewohnt. Er setzt auf vollgriffige romantische Attacke, sein Fortissimo ist dabei freilich nie plärrend laut, sondern wohl gerundet, er trifft für Grieg die ideale Mitte aus packendem und poetischem Zugriff. Ja, dieser Grieg klingt wie ein nordischer Brahms, mal so gar nicht verniedlicht.
Es gibt sie die feurigen und trotzdem coolen Nordmänner
Ein feuriger cooler Nordländer, ja das gibt’s, wie Andsnes, ein Pianist von meisterhafter Eleganz, Kraft und Einsicht eindrücklich demonstrierte, sehr zur Freude des sachkundigen Auditoriums, das ja in Wien, der Musikstadt schlechthin, bekanntlich sehr verwöhnt, deshalb auch besonders kritisch ist. Der Pianist reißt das Publikum mit entschiedenem Anschlag und einer angenehmen Dosis an Präzision und Klarheit mit sich. Im Adagio rollt dann zwar auch das Orchester einen wunderbar samtenen Klangteppich aus, gesamt gesehen bleibt es aber meist wohltuend zurückhaltend und überlässt dem Solisten die Oberherrschaft.
Ob Staccato oder filigrane Läufe, Leif Ove Andsnes zelebriert beides meisterhaft
Dieser weiss diesen Auslauf weidlich zu nutzen, präzis seine Staccato, feinfühlig die perlenden Läufe liebevoll, streichelt er das Elfenbein unter seinen Fingern, ohne deshalb verweichlicht zu tönen, denn er kann auch sehr energisch, wo vom Komponisten angedacht. Er führt das Orchester durch die anspruchsvolle Partitur, ohne voranzutreiben, immer in Symbiose mit dem nordische Renommierorchester, das von Petrenko äusserst zurückhaltend, mehr begleitet, denn dirigiert wird, so sparsam in der Gestik erlebt man den Russen selten. Auch hier geizte das Publikum nicht mit Applaus und klatschte den Solisten noch ein paarmal auf die Bühne zurück, zu einer stehenden Ovation reichte es dann aber doch nicht.
2. Konzertteil mit der zweiten Symphonie von Rachmaninow
In der abschließenden zweiten Symphonie Rachmaninows kommt es noch zu einigen energischen Momenten, verursacht durch dämonisch wetternde Celli, und vereinzelt gar zu lyrischen Oasen im Adagio. Die Violinen tönen wie eine Kreation aus dem Hause Sprüngli: zartbitter der schmelzende Kern, samtig die Oberfläche. Das Konzert des Oslo Philharmonic im Konzerthaus ist ein orchestrales Großereignis. Denn die Norweger bieten eben viel mehr als handelsüblichen klanglichen Luxus, die Musiker aus der Hauptstadt des Königreichs haben enorm viel echten Charakter.
Der russischen Seele schwelgischerische Hingabe
Sie sind mit schwelgerischer Hingabe bei der Sache, phrasieren unerhört spannungsdrängend, die Exzellenz ihrer Solisten – welch ein berückend lukullisches Klarinettensolo im Adagio v – wirkt dabei so angenehm unprätentiös und natürlich. Die Bläser lassen sich unabhängig von den Streichern verfolgen, auch die Auffächerung der verschiedenen Streicher-Einsätze ist sehr klar herausgearbeitet. Petrenko bleibt dabei lange sehr streng im Zeitmaß. Erst dort, wo sich die Solotrompete mit drei Achteln Auftakt vom Mezzoforte zum Fortissimo steigert, verzögert der Dirigent – wie von Rachmaninow verlangt – das Tempo: Dreieinhalb Minuten lang hat er vorab dieses Fernziel im Auge. Wenn Weitsicht überhaupt klingen kann, dann so. Auf die Largo-Einleitung folgt ein Allegro moderato. Das Hauptthema soll dabei im ständigen Wechsel von leichter Verzögerung und Rückkehr zum Ausgangstempo gespielt werden.
Trotz Werktreue unverkennbar
Petrenko und die Oslo Philharmonic bleiben äusserst werktreu, bloss vom vorgeschriebenen Verzögern und Zurückkehren zum Ausgangstempo hört man fast nichts. Nur vom Ehrgeiz, das Allegro moderato in einen möglichst deutlichen Kontrast zur Largo-Einleitung zu setzen, was diese Interpretation aber äusserst spannend macht. Rachmaninows zweite Sinfonie ist am berühmtesten durch ihren dritten Satz, ein Adagio in A-Dur, das Idyll und Elegie in einem ist und dessen Reichtum auch so ein verschwenderisch begabter Melodiker wie Rachmaninow nie wieder überbieten konnte. Fast drei Minuten dauert allein die Vorstellung des Hauptthemas bei Petrenko. Diese Großzügigkeit ist aber auch nötig. Mag die Soloklarinette tontechnisch ein wenig zu sehr in den Vordergrund gerückt sein – sie klingt so schön, dass man sich’s gefallen lässt.
Rachmaninows geniale Intention
Als wäre so ein herrlicher Einfall nicht schon überwältigend genug, intensiviert Rachmaninow die Wirkung seiner Musik noch mit den Mitteln Beethovens und Tschaikowskys: Er verkürzt das Hauptthema und schickt es in einer großen Steigerungssequenz durch verschiedene Tonarten, bis es auf dem Höhepunkt in glückstrahlendes C-Dur mündet. Vasily Petrenko mit dem Oslo Philharmonic Orchestra hat es da etwas eilig, zum Ziel zu kommen, und verschenkt die Hälfte des Glücks, dafür hört man genau, aus welch unzähligen kleinen Zuflüssen der große Strom der Musik sich speist. Zu zeigen, dass Rachmaninow polyphon denkt, dass er quasi kanonisch mit Verkleinerungen und Vergrößerungen seines Themas einen Gesamtklang konstruiert.
Petrenkos Liebe zum Liebe zum Detail, ohne das Ganze aus den Augen zu verlieren
Das Grosse im Blick, die Details fein herausgearbeitet, eine vortreffliche Umsetzung des Werkes, wie auch das Publikum mit stürmischem Applaus langanhaltend bekräftigte. Ein Applaus, der erst verstarb, als die Protagonisten diesen mit einer Zugabe belohnten, die aber noch nicht mit einer „Standing Ovation“ verdankt wurde. Aber nach der anschliessenden zweiten Zugabe, erhoben sich die begeisterten Zuhörer doch noch und feierten die Musiker. Mein Instinkt, Puccinis „Madame Butterfly“ an der Staatoper zugunsten der Norweger im Konzerthaus links liegen zu lassen, erwies sich also doch als richtig.
Diese Rezension wurde unterstützt vom Restaurant Weinzierl im Wiener Konzerthaus, bestens bedient vor und nach den Konzerten, umsorgt auch in den Pausen.