Besetzung und Programm:
NDR Elbphilharmonie Orchester
NDR Vokalensemble
Alan Gilbert Dirigent
Morris Robinson Porgy
Latonia Moore Serena
Elizabeth Llewellyn Bess
Lester Lynch Crown
Norman Garrett Jake, Simon Frazier
Golda Schultz Clara
Cameo Humes Robbins, Mingo, Peter, Krabbenverkäufer
Tichina Vaughn Maria, Lily, Annie, Erdbeerfrau
Chauncey Packer Sportin’ Life
Kenneth Kula Jim, Undertaker
Luvo Rasemeni Detektiv, Leichenbeschauer, Polizist
George Gershwin (1898–1937)
THE GERSHWINS®’ PORGY AND BESS®. Oper in drei Akten
von George Gershwin, DuBose und Dorothy Heyward und Ira Gershwin
(halbszenische Aufführung)
Grundsätzliches zum Werk ab Homepage Lucerne Festival
Mit Porgy and Bess schrieb George Gershwin Geschichte: Diese «American Folk Opera» ist das erste Musikdrama, das unter People of Color spielt, in der Catfish Row der Hafenstadt Charleston. In den USA der 1930er Jahre, die von rassistischer Diskriminierung geprägt waren, gehörte viel Mut dazu, ein solches Sujet zu wählen. Umso mehr, als Gershwin hier einfache Fischer, Arbeitslose und sogar Drogenabhängige auf die Bühne brachte. Musikalisch zeigte er sich ebenfalls experimentierfreudig und fügte jazzige Elemente, Songs und (selbst erfundene) Spirituals in die Partitur ein. Authentizität war für Gershwin das oberste Gebot. Weshalb er während der Arbeit sogar in der Nähe von Charleston Quartier bezog, um den Dialekt der Gullah, der Afroamerikaner*innen in South Carolina, genau zu studieren. Im «Diversity»-Sommer darf dieses Werk nicht fehlen! Alan Gilbert wird es mit einem rein schwarzen Ensemble um Elizabeth Llewellyn und Morris Robinson in den Titelrollen halbszenisch aufführen. Die famose Golda Schultz verzaubert mit dem berühmten Summertime, und natürlich erklingen auch Hits wie I Got Plenty o’Nuttin’ oder It Ain’t Necessarily so
Fast so etwas wie ein amerikanischer Puccini Summertime in der Luzerner Sommerzeit
„Summertime “ ist wohl die bekannteste Melodie aus George Gershwins einziger Oper „Porgy and Bess“. Selten ist das Stück in Europa zu sehen, denn es braucht ein riesiges, stimmstarkes und mit einer Ausnahme komplett afro-amerikanisches Ensemble. So haben es Gershwins Erben verfügt.
1935 uraufgeführt, mischt das Liebesdrama aus dem schwarzen Ghetto das Kunstkapital der Alten Welt klug mit Anregungen aus der Neuen: Wie Gershwin die Musik immer wieder auf eine italienische Inbrunst zusteuern lässt, das Klanggeschehen dann aber doch mit Blue Notes, Spiritual-Wendungen und Swing Rhythmen pfeffert, macht den Opernschöpfer zu einem Unikum, gewissermaßen einem Puccini mit „Americanità“.
Im tiefsten Süden der USA angesiedeltes Drama
Der Plot spielt In der Catfish Row der Hafenstadt Charleston im US-Bundesstaat South Carolina. Porgy and Bess als packendes Hördrama mit gebündelter Expertise. Dirigent Alan Gilbert präsentiert mit den Kräften des NDR-Elbphilharmonie Orchesters und des NDR-Vokalensembles Gershwins Musik in intensiv glühenden Orchesterfarben, mit plastisch konturierter Linienführung und rhythmischer Sogkraft. Dazu gibt es, angeführt von grossartigen Sänger*innen wie Elizabeth Llewellyn als Bess und Morris Robinson als Porgy , ein hochpräsentes Solistenensemble, das für eine charakterstarke Darstellung des Geschehens sorgt. Atmosphäre, Expressivität, eine gelungene Mischung aus Opernton, Musicalgesten, Gospel- und Jazzanleihen, erfrischende theatrale Unmittelbarkeit und die lodernde Intensität tief ausgeloteter Dramatik machen diese teils szenische Darbietung zu einem spannenden Erlebnis. Da springt der Funke auch schnell aufs Publikum über.
Eine Oper mal nicht auf der klassischen Opernbühne
Eine Oper aufzuführen ist nicht schwer: Man nehme eine dramatische Liebesgeschichte, ein Orchester, einen Chor, rund 15 Solistinnen und Solisten, einen erfahrenen Dirigenten, und dazu Musik aus Oper, Jazz und Gospel. Und schon hat man „The Gershwins‘ Porgy and Bess“ in der konzertanten Aufführung im KKL in Luzern. Dem Ensemble rund um Dirigent Alan Gilbert gelang die Umsetzung von George Gershwins Oper, die auch ohne Extra-Zutaten wie Kostüme und Requisiten allein durch die musikalische Leistung zu einer wahren Delikatesse wurde.
Überragende Sänger*innen
Morris Robinson überzeugte mit kraftvollem und voluminösem Bass und großartiger Bühnenpräsenz. Seine Performance des Evergreens „I Got Plenty o‘ Nuttin‘“ geriet zu einem Höhepunkt des Abends, der einzig von seiner durch dunkle Vokalfarben schwer verständlichen Artikulation getrübt wurde. Mit klangvoller und dynamisch changierender Stimme wurde auch Elizabeth Llewellyns Präsentation der Bess zu einem wahren Genuss, mit farbenreichem Ausdruck und brillanter Höhe. Und auch im Duett ergänzten sich die beiden stimmlich scheinbar so disparaten Hauptcharaktere erstaunlich gekonnt. Lester Lynch punktete in seiner Darbietung des Bösewichts Crown mit voluminöser und facettenreicher Stimme und insbesondere durch sein freies, körperliches (auch mal mit einer kleinen Tanzeinlage) und interaktives Spiel (immer mit einem überzeugenden süffisanten Lachen). Wer aufgrund der konzertanten Aufführungssituation um das dramatische Element fürchtete, wurde durch den geringen, dafür aber gezielten Einsatz von Lichteffekten und die szenische Interaktion bis in die Nebenrollen zufriedengestellt. So gelangen Chauncey Packer als Sporting Life mit weichem Timbre, Norman Garrett als Jake mit sonorer Tiefe, als auch Latonia Moore als Serena und Rebecca Golda Schultz als Clara mit klarem Sopran in weiteren Rollen überzeugende Darbietungen.
Weiterer Höhepunkt einer auf hohem Niveau angesiedelten Aufführung
Ein Highlight des Abends: Tichina Vaughn als Maria mit vollem Stimmklang in der tieferen Lage sowie klanglich reinen Höhen und körperlich ausdrucksstarkem Spiel. Das NDR-Elbphilharmonie Orchester und dessen Chor als Hauptzutat bildeten in tadelloser Abstimmung mit dem Gesangensemble eine gelungene Basis. Mit Ausnahme der intonatorisch etwas unsauberen und in den Einsätzen ungenauen Orchestereinleitung zum dritten Akt, glückte die Verbindung von Orchester, Solistinnen und Solisten und dem rundum überzeugenden Chor. Dirigent Alan Gilbert hielt alle Mitwirkenden gekonnt zusammen und führte mit präzisem Taktschlag, genauen Tempowechseln und einer tiefen Durchdringung des Gesamtwerks durch den Abend. Wie eine Prise Salz gab sein Mitwirken beim szenischen Spiel dem Ganzen noch das gewisse Etwas.
Typisch amerikanisch optimistischer und nicht tragisch italienischer Schluss
Irgendwie ist auch das Ende amerikanisch. Letzter Auftritt des Opernhelden, soeben frisch aus dem Gefängnis entlassen: Er singt, wie sehr er die Opernheldin liebt – und weiß als Einziger nichts von der üblen Lage, die sich auf den Gesichtern rundum abzeichnet. Wäre dies ein Drama von Puccini, die Geliebte wäre wohl soeben an einer tödlichen Krankheit gestorben. Bei George Gershwin (1898-1937) ist die Situation nicht ganz so düster. Bess, die herzensgute, seelisch labile Frau aus der schwarzen Armensiedlung in Charleston, ist zwar mit einem Tunichtgut namens Sportin’ Life nach New York abgerauscht. Der verlassene Porgy resigniert aber trotz der vielen Meilen und seines lahmen Beins nicht: Er geht ins „gelobte Land“, singt er und krempelt die Ami-Ärmel hoch.
Und so gelang mit nur wenigen, dafür aber gekonnt aufeinander abgestimmten Zutaten eine mitreißende und kurzweilige Aufführung, die das Konzertpodium zur Opernszenerie verwandelte und ein von Musik erfülltes, tosenden Applaus spendendes Publikum hinterließ, ein Applaus, der dann schlussendlich zu einer verdienten stehenden Ovation mutierte.
Text: leonardwuest.ch
Fotos: Peter Fischli https://www.lucernefestival.ch/de
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