Wie klingt Schnee? Wie tönt ein Fussballmatch im Nahen Osten im Vergleich zu
einem in der Schweiz? Bellen die Hunde in Eritrea anders als hierzulande? Mit
solchen Fragen haben sich 13 junge Geflüchtete für ein gemeinsames Projekt des
Vereins Zuhören Schweiz, von Radio 3FACH und der Hochschule Luzern
auseinandergesetzt. Die Resultate sind im Rahmen einer Hörausstellung vom 27. Mai
bis zum 5. August 2022 zu erleben.
«Wenn ich traurig bin, höre ich keine Musik», sagt der 17-jährige Abdirabi A. aus Somalia, der
seit sechs Monaten in der Schweiz lebt. Vernimmt der 22-jährige Tesfahiwet A. die
Kirchenglocken Luzerns, dann erinnert ihn das an die hellen Klänge der met’qi‘e, den
traditionellen «Glocken» aus Stein, die in seinem Heimatdorf in Eritrea zum Gebet rufen. «Die
Hunde bellen hier anders als bei uns zu Hause», sagt der 21-jährige Michael O. aus Eritrea.
Die drei jungen Leute gehören zu insgesamt 13 Jugendlichen und Erwachsenen, die von
Februar bis April an mehrtägigen Workshops zum Thema «Hören» teilgenommen haben. Die
Jüngeren unter ihnen besuchten einen Workshop an der Hochschule Luzern, die etwas Älteren
im Rahmen eines freiwilligen Konversationskurses in Deutsch. Organisiert wurden die
Workshops von «Ohren auf Reisen», einem Projekt der Basler Bildungs- und Kulturinitiative
Zuhören Schweiz. Durchgeführt wurden sie von einem HSLU-Forschungsteam und dem
Luzerner Lokalsender Radio 3FACH.
Auseinandersetzung mit der klingenden Umwelt
«Ziel der Workshops war es, die eigene Hörgeschichte zu erkunden und aufzunehmen», erklärt
Helena Simonett, Leiterin des HSLU-Forschungsprojekts «Music as Empowerment». In diesem
mehrjährigen SNF-Projekt geht ein Forschungsteam der Frage nach, wie sich junge Menschen
mit Migrationsgeschichte mittels musikbezogener Tätigkeiten und persönlicher musikalischer
Kompetenzen neue kulturelle Räume erschaffen und neue soziale Identitäten konstruieren
(siehe Kasten).
Bei ihren Recherchen stiess die Ethnomusikologin auf das Projekt «Ohren auf Reisen» und war
sofort angetan: «Die Idee der praktischen Auseinandersetzung mit der klingenden Umwelt –
der neuen und der zurückgelassenen – hat mich sofort begeistert», sagt Simonett. «Denn das
Hören, das Zuhören und das Gehört werden bilden die Grundlage für die kulturelle Teilhabe und
Teilnahme dieser jungen Menschen an unserer Gesellschaft.»
Zum «Empowerment» gehört aber nicht nur, dass die Jugendlichen während des Workshops
Erfolgserlebnisse haben und diese gewürdigt werden, etwa wenn sie ihre Sprachkenntnisse
erweitern und ihre Stärken entdecken. «Es geht auch darum, dass die Jugendlichen neue
kreative Kompetenzen erlernen», hält das Forschungsteam fest. So erfahren die
Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wie man mit Handy und Zusatzmikrofon gute Audio-
Aufnahmen macht, mit welchen einfach zu bedienenden Tools man diese schneidet und mischt,
und wo sich weitere Geräusche und Musik in Online-Archiven finden und nutzen lassenÖffentliche Hörausstellung und Radioübertragung
In den Workshops wurden die Teilnehmenden gefragt, welche Klänge sie dort begleiten, wo sie
leben; was ihnen akustisch an ihrer neuen Umgebung in der Schweiz auffällt; an welche KlängeZwölf Audio-Collagen der jungen Frauen und Männer aus Somalia, Eritrea, Afghanistan und
Syrien werden vom 27. Mai bis zum 5. August 2022 in der Hörausstellung «Ohren auf Reisen»
am Departement Musik der Hochschule Luzern präsentiert. Der Eintritt ist frei zugänglich
während der regulären Öffnungszeiten des Gebäudes. Die «Midissage», geleitet von Radio
3FACH-Moderator Matthias Büeler, findet am Donnerstag, 7. Juli 2022 von 14:00 bis 15:30 Uhr
statt. Dabei wird auch ein kurzer Dokumentarfilm des afghanischen Filmemachers Ahmad
Alizada gezeigt, der das Projekt begleitet hat.
Am Samstagnachmittag, 28. Mai 2022 von 13:00 bis 15:00 Uhr strahlt Radio 3FACH eine
Sendung über das Projekt aus. Ab August 2022 können die Hörbeiträge zudem über die
Website von «Ohren auf Reisen» erkundet werden: zuhoeren-schweiz.ch/oarsie sich erinnern oder wie Geräusche ihre Vertrautheit mit einem Ort beeinflussen. «So
entstanden faszinierende Hörbeiträge, die uns persönliche Einblicke in das Leben und die
akustische Umwelt der Jugendlichen und jungen Erwachsenen geben», so Simonett.
Forschungsprojekt «Music as Empowerment»
Im Zentrum des interdisziplinären Projekts (Laufzeit: 2021 bis 2025) stehen junge geflüchtete
Menschen und die Art und Weise, wie sie sich mittels musikbezogener Tätigkeiten und persönlicher musikalischer Kompetenzen («musical literacies») sowohl neue kulturelle Räume erschaffen als auch neue soziale Identitäten konstruieren. Es wird erforscht, wie sich diese Prozesse auf verschiedene Aspekte ihres Lebens, wie z.B. den Zugang zu Bildung und Freizeitaktivitäten, auswirken. Das Projekt
wird im Rahmen des Interdisziplinären Themenclusters «Raum und Gesellschaft» der Hochschule Luzern von Forschenden der Departemente Musik und Soziale Arbeit durchgeführt und vom Schweizerischen Nationalfonds SNF gefördert.
Im Rahmen des Projektes entstand die Hörausstellung «Ohren auf Reisen», zusammen mit dem VereinZuhören Schweiz und Radio 3FACH.