Besetzung und Programm:
Helsinki Philharmonic Orchestra
Susanna Mälkki Dirigentin
Andreas Haefliger Klavier
Kaija Saariaho (*1952)
Vista für Orchester
Dieter Ammann (*1962)
The Piano Concerto (Gran Toccata)
Schweizer Erstaufführung
Auftragswerk der Münchner Philharmoniker, von BBC Radio 3, des Boston Symphony Orchestra, des Konzerthauses Wien, von Lucerne Festival, des Taipeh Symphony Orchestra und von Pro Helvetia
Per Nørgård (*1932)
Sinfonie Nr. 8
Jean Sibelius (1865–1957)
Tapiola op. 112. Sinfonische Dichtung für Orchester
Kaija Saariaho (*1952) Vista für Orchester
Aussage der Komponistin: wenn ich komponiere, habe ich oft einen bestimmten Musiker oder eine bestimmte Musikerin im Kopf, in diesem Fall Susanna Mälkki. Wenn ich an Opern arbeite, schaffe ich für jede Figur eine eigene Musik, und wenn ich an Konzerten arbeite, bringe ich oft etwas von der Solistin oder dem Solisten in die Musik ein, entweder intuitiv oder mit Absicht. In diesem Orchesterstück ist Susanna die Interpretin, und vielleicht hat etwas von ihrer musikalischen Persönlichkeit meine kompositorischen Entscheidungen geleitet.
Sie geht sehr sensibel mit meiner Arbeit um, kennt die neue Partitur schon vor der ersten Probe sehr gut und versteht meine Musik. Dennoch ist sie in der Lage, dem Werk auch ihren eigenen Stempel aufzudrücken. Das ist keine Selbstverständlichkeit.
Wenn das Abstrakte zur Praktik wird
Der Prozess des Komponierens ist sowohl abstrakter als auch praktischer. Oft liefert so eine erste Inspiration zum Beispiel formale Ideen. Wenn ich dann mit der eigentlichen Komposition beginne, definiere ich zunächst das harmonische Material und stelle mir bestimmte Instrumentalfarben und musikalische Texturen vor. Mit jedem neuen Werk versuche ich, mich zu erneuern und herauszufordern, und dieses Mal wollte ich das Orchester anders als sonst besetzen. Normalerweise verwende ich in meinen Partituren immer die Celesta, die Harfe und das Klavier. Stattdessen habe ich mich diesmal auf Blasinstrumente konzentriert, vor allem auf die verschiedenen Instrumente der Holzbläserfamilie: Bei Vista gibt es Flöten in verschiedenen Größen, die Oboen werden mit dem Englischhorn kombiniert, und bei den Klarinetten gibt es auch die kleinere Es-Klarinette und die Bassklarinette.
Ihr Werk besteht aus zwei kontrastierenden Teilen: Horizons und Targets. Warum haben Sie sich für diese Aufteilung entschieden?
Ich wollte mit demselben musikalischen Material zwei kontrastierende und formal unterschiedliche Sätze schaffen. Wo der erste Satz unabhängige Linien hat, die sich manchmal in reine Farbtexturen ohne Puls verwandeln, hat der zweite Satz eine klare physische Energie und Entschlossenheit. Hier vervielfachen sich die rhythmischen Elemente zu eindringlicher Tutti-Einstimmigkeit und vielschichtigen Höhepunkten, bevor das Werk endet und die ruhigen Texturen des Anfangs neu interpretiert werden.
Wie die Komponistin in ihrer Programmnote zu „Vista“ schreibt, die von Mälkki und dem LA Phil in den USA uraufgeführt wurde, erwiesen sich die vielen markanten „Ausblicke“ entlang der Fahrt nach San Diego als prägend für ihr neuestes Werk. Saariaho hat eine auffallende visuelle Sensibilität. Als außergewöhnliche musikalische Koloristin hat sie ein Händchen dafür, Schönheit im Klang einzufangen, was ihr eine treue Anhängerschaft begeisterter Fans gebracht hat.
Abstrakte Transformation von Landschaften
Während „Vista“ im Wesentlichen eine abstrakte Studie über die Transformation einer sich ständig verändernden musikalischen Landschaft von melodischen Formen, Texturen, Klangfarben und Harmonien ist, durchdringt ein unvermeidliches Gefühl der Vorahnung seine abgedrehte Atmosphäre. Nehmen Sie diese Fahrt noch heute und steigen Sie in San Pedro von der 405 aus, und Ihr Blick wird auf ozeanschädigende Frachter, die weiter zurückgehalten werden, als das Auge sehen kann, und auf umweltschädliche Lastwagen in Hülle und Fülle sein. Eine weitere Station, Huntington Beach, ist die Heimat der schrecklichen Ölpest von vor nicht allzu langer Zeit. Der erste wirkliche Blick auf die 5 unserer herrlichen Küste bietet sich am Strand von San Onofre, wo ein alter Atomreaktor mit seinem 3,6 Millionen Pfund schweren Hort an Atommüll 30 Meter von einem weltweit ansteigenden Meer entfernt auftaucht.
Als Komponistin, deren Musik lange Zeit von den Elementen gesungen hat – „True Fire“ und „Earth’s Shadows“ wurden in den letzten Jahren beide im LA Phil gespielt – hat Saariaho nun bewusst oder unbewusst den Klang verschwindender Aussichten eingefangen.
Ein stabiles Nervensystem des Zuhörers setzt die Komponistin voraus
„Vista“ dauert etwa 25 Minuten und besteht aus zwei Teilen – „Horizons“ und „Targets“ – und beginnt mit einer faszinierenden, langen und nasalen Oboen Melodie. Dies wird bald durch Streicher untermauert, die Saariahos „spektrale“ Harmonien liefern, eine Reihe komplexer Interaktionen von unheimlichen, hohen und halb gehörten Tönen, die das Nervensystem des Zuhörers auf unvorhersehbare Weise stimulieren können, sei es Aufregung, Angst oder Ärger hervorrufen.
Ähnlich wie bei einer Fahrt auf der 5 werden diese musikalischen Ausblicke unterbrochen. Laut gebündelte Bläser und Blechbläser bieten zusammen mit trillernden und gleitenden Streichern wenig Ruhe. Aber eine lange, meditative, tranceartige Strecke senkt die Temperatur und signalisiert das Ende des Horizonts. Der Tagtraum wird durch den Beginn von „Targets“ unterbrochen, wenn sich der Horizont in Schallscherben verwandelt. „Vista“ endet in Ruhe, aber nicht in der Ruhe. Es erklingt, wie so oft Saariahos Musik, noch lange nach und diesen Nachklang beruht ebenso in der Umsetzung durch Dirigentin und Orchester, als auch auf der Partitur an sich.
Dieter Ammann (*1962) The Piano Concerto (Gran Toccata)
Schweizer Erstaufführung
Auftragswerk der Münchner Philharmoniker, von BBC Radio 3, des Boston Symphony Orchestra, des Konzerthauses Wien, von Lucerne Festival, des Taipeh Symphony Orchestra und von Pro Helvetia.Der Komponist Dieter Ammann erlebt gerade einen Meilenstein seiner Karriere. Nicht nur in Europa, sondern auch in den USA und in Fernost wurde sein neues Klavierkonzert «Gran Toccata» mit dem Solisten Michael Haefliger mit grossem Erfolg uraufgeführt. Ammann ist schon seit längerem bei den grossen europäischen Orchestern ein Begriff, zudem war er 2010 «Composer in residence» beim Lucerne Festival. «Aber es stimmt schon», meint Ammann im Gespräch. «Mein Klavierkonzert hat mir, was die Qualität der Orchester betrifft und die grosse Resonanz in der Öffentlichkeit, den Schritt in eine neue Dimension ermöglicht.»
Entsprechend akribisch wurde die Schweizer Erstaufführung in Luzern vorbereitet, musste dann aber, Corona bedingt, verschoben werden, kam somit an diesem Abend zur Premiere im Ursprungsland des Komponisten.
Sein Klavierkonzert wurde seit vergangenem August an mehreren Orten uraufgeführt: an den «Proms» in London, mit dem Taipeh Symphony Orchestra in Taiwan, dem Boston Symphony Orchestra in den USA und im Münchner Gasteig mit den Münchner Philharmonikern. Weitere vier Aufführungen waren bis Ende 2021 geplant, darunter auch im Konzerthaus Wien.
Ein konzertantes Werk dieser Dimension ist für den Komponisten extrem fordernd. Anfänglich habe er sich davor auch gefürchtet, bekennt Ammann: «Als mich der Pianist Andreas Haefliger vor Jahren um ein Klavierkonzert bat, war ich alles andere als begeistert, wusste ich doch, dass die Arbeit an einem solchen Werk nicht Monate, sondern Jahre benötigen würde.» Ammann arbeitet langsam, ist sehr perfektionistisch, feilt an jeder Stimme, und der Orchestersatz ist dicht, energiegeladen und virtuos.
Fast unerfüllbare Forderungen gestellt
Deshalb knüpfte der Komponist einige übersteigerte Bedingungen an diesen Auftrag in der Hoffnung, dass sie nicht erfüllt werden könnten. Zum Beispiel, dass einer der Auftraggeber eines der amerikanischen «Big Five»-Orchester sein müsse. «Es verging einige Zeit», erzählt Ammann, «und plötzlich rief mich Haefliger an, es habe geklappt, das Boston Symphony Orchestra mache mit, ich könne mit der Komposition beginnen.» Ammann war perplex, nun galt es ernst.
So komponierte er innerhalb dreier Jahre das dreissigminütige, hochvirtuose «Piano Concerto» («Gran Toccata»), in dem Ammann das Klavier wie ein kleines Orchester auslotet, als stünden sich zwei Orchester gegenüber.
Schon der Anfang setzt den Zuhörer in den Schleudersitz. Da stanzt der Pianist Andreas Haefliger den Ton A auf alle nur erdenklichen Arten aus dem Instrument, poliert ihn zu gleissendem Goldglanz, spitzt ihn perkussiv zum Geräusch und treibt ihn hastig an zu knackigem Drive. Wenn sich das Orchester schlingernd und mit zauberhaften Klangschleiern einmischt, heben Pianist und Orchester soghaft ab.
Nicht nur das Werk, auch der Komponist Dieter Ammann hebt ab mit seinem Klavierkonzert. Schon bei der Uraufführung im Sommer an den Proms in London offenbarte sich das «Kultpotenzial» des Werkes. Und das unterstreicht die kristallin-klare Interpretation mit dem vorzüglichen Helsinki Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Susanna Mälkki.
Da ist der virtuose Umgang mit Grooves, die bei aller Komplexität der Musik einen körperhaften Drive geben. Da sind aber auch die Instrumentation und eine Harmonik, die die koloristischen Möglichkeiten des Orchesters so präzis wie verschwenderisch nutzen.
Auslotung der gesamten Tastatur, der 88 Tasten in all ihren Facetten
So tobt sich zwar das Klavier akkordisch aufgefächert über die ganze Tastatur aus und gibt dem souveränen Solisten auch in Solokadenzen Gelegenheit, pianistische Akrobatik mit der ihm eigenen Expressivität zu verbinden. Aber die Verzahnung des Klaviers mit dem aufgesplitterten, zugespitzten oder lauernden Orchester verhindert jede neoromantische Attitude. Zudem balanciert Ammann hektische und Ruhemomente in einer Weise aus, die keinen Mustern folgt. Umso ereignishafter sind die Momente der Magie, die sich von dem mit Hochspannung vorangetriebenen Geschehen abheben.
Gefühlsausdruck jenseits aller Romantikklischees und eine Motorik, die nie klassizistisch klappert: Genau so eigenständig schillern die Rhythmen, die Kritiker gern mit Ammanns Herkunft aus dem Jazz in Verbindung bringen. Wo sich im ersten Satz aus dem rhythmischen Treiben eine prägnante Kurzformel herauskristallisiert, die ganz am Schluss wiederkehrt und das ermattende Ende einleitet, liegt der Bezug zur frühen Moderne näher. In diesem steigert Haefliger den Klavierpart aus der Tiefe heraus zu orchestraler Fülle und einer Expressivität, die überraschend deutlich auch Ammanns Konzert auszeichnen.
Von einem Kritiker bei der Uraufführung als «Tschaikowsky mit Amphetaminen» bezeichnet
Hinter dem Erfolg liegen aber auch tiefere Gründe. Der Titel «The Piano Concerto (Gran Toccata)» stellt das Werk in die grosse Tradition des Klavierkonzerts, einschliesslich seiner improvisatorischen Virtuosität. Und phänomenal ist in der Tat, wie Ammann diese Tradition weiterführt, ohne dass das jemals als Rückgriff wirkt.
Im weiten Spannungsfeld zwischen Individuum und Kollektiv, das traditionell die Gattung bestimmt, geht es dem Komponisten um vielfältigste Spielformen. „So wird beispielsweise beim Solopart zwischen mehreren Funktionen unterschieden. Die herkömmlichen Rollen des Klaviers sowohl als Begleiter des orchestralen Geschehens als auch des unbegleiteten Individuums sind dabei bloß zwei mögliche Erscheinungsformen, wobei bei der letzten der wechselseitige Material- und Energiefluss oft subkutan weiterwirkt, so dass sich das Soloinstrument nicht ins Subjektive oder gar Unverbindliche ‚flüchten‘ kann.
Weitere Funktionskategorien sind das gängige Solo-Accompagnato, das seinen Platz genauso hat wie das oben erwähnte ,Orchesterklavier‘. Neues Terrain wird durch Erweiterung des Aktionsspektrums des Soloinstruments erschlossen. Es gibt zusätzlich eine kinetische Komponente, quasi einen ,corporalen Subtext‘, so dass sich die Musik nicht bloß auf die Realisierung des Notentexts reduzieren lässt, sondern vom Performativen her auch eine visuelle Seite aufweist – etwas, das bei der Rezeption (speziell in der Konzertsituation) zusätzlichen Informationsgehalt bedeutet. Dieser optische Aspekt, etwa bei der Übergabe und Aufnahme von Impulsketten (also dem eigentlichen ,concertare‘) kann dabei sogar zur primären Information werden, wenn nämlich die Solostimme verwischt, verdeckt, geschluckt oder in der Gesamttextur sukzessive aufgelöst wird.
Die enge Verzahnung der Funktionen von Klavier und Orchester bewirkt, dass das der Gattung als ,soziologisches Modell‘ inhärente Moment der Virtuosität nicht auf das Soloinstrument beschränkt bleibt, sondern auch in einigen Orchesterpassagen starken Niederschlag findet und so ist es eher ein Konzert für Orchester und Klavier als ein klassisches Klavierkonzert. Es gibt kein Hin und Her zwischen Orchester und Klavier; Andreas Haefliger, für den es geschrieben wurde, spielt nur in den drei ausgedehnten Kadenzen und für die einzelne Tonwiederholung, die das Konzert in Gang setzt, und den dominierenden wiederholten Akkord, der es schließt, allein.
Immer im Aufbruch, im Vorwärtsgang
Generell zeichnet sich das Konzert durch einen lokomotiven Vorwärtsgang aus, reisende Impulse, eine stetige Energie, die nur gelegentlich in perkussive Nervosität ausbricht. Die Miene des Konzerts ist im besten Sinne konventionell; sicherlich konsonant und selbst die Viertelton-Dias klingen eher wie ein chinesischer Trauerzug als absichtlich oder grundlos „moderne Musik“. Inmitten all der Geschäftigkeit entstehen die berührendsten Momente, wenn sich die Wolken der orchestralen Dichte erheben, um einzelne Abschnitte und den Solisten zu enthüllen.
Die Zutaten der Arbeit sind interessanter als die Struktur auf Distanz. Immer wenn Sonnenschein die Wolkendecke durchdringt, leuchtet das ganze Konzert von innen auf. Ein Blechbläserchoral, der etwa zwei Drittel in das Konzert einbricht, klingt beispielsweise wie der Soundtrack zum Abschied eines lieben Freundes, den wir mit einiger Gelassenheit betrachten, bevor wir vom plötzlich einsetzenden Orchesterverkehr beinahe überrollt werden. Man fragt sich, wie es klingen würde, wenn alle im Orchester tatsächlich genau das spielen würden, was geschrieben wurde, und nicht nur ihre Rollen annähern. Wenn nur die alte orchestrale Ente „Oh, den Unterschied hört sowieso keiner“ – leider allzu häufige Realität in solchen Situationen – vermieden werden könnte. Denn das stiehlt selbst nur ein Dutzend fauler Musikerattitüde den Zuhörern: Das Wissen um das, was hätte sein können.
Das Konzert hat auch etwas Frustrierendes, wenn man den Pianisten bei der Arbeit sieht – aber nichts hört. Zugegeben, wahrscheinlich hört man noch alle oder die meisten Töne, die sich auch im Orchester verteilen und im Raum wandern, ganz so, als würde der Pianist tatsächlich auf der großen Klaviatur des Orchesters spielen – wie ein musikmechanischer Puppenspieler. Aber ohne Kenntnis der Partitur ist davon nicht auszugehen, und es entsteht der Eindruck, dass statt eines Orchesters (das sich weder an die tiefen Dynamikangaben halten kann noch will) der Solist übertönt und der arme Kerl mehrere Seitenschwaden umsonst gelernt hat, denn er hätte in diesen Passagen genauso gut „Chopsticks“ ersetzen können.
Ungeachtet dessen: Das Klavierkonzert ist ein faszinierendes Werk, weil es sowohl anders ist als fast alles, was in der zeitgenössischen klassischen Küche serviert wird, als auch nicht so klingt, als würde es versuchen, um seiner selbst willen neu oder anders zu sein. Wenn es ein Stück Architektur wäre, würde man sagen, dass es um den menschlichen Maßstab herum gebaut wurde.
Für eines der bedeutendsten Orchester der Welt
Trotz seines weltweiten Erfolgs als Komponist ist Dieter Ammann auch gerne zu Hause, bei seiner Familie in Zofingen, wo er ein Kompositionsstudio hat. Hierher kommen auch einige seiner Studenten, Ammann unterrichtet als Professor für Komposition an der Musikhochschule Luzern.
Wie geht das nun in Zeiten von Corona? Er sei mit seinen Studenten über den Computer in Kontakt, oft werden heute ja Noten mit spezifischen Programmen direkt in den Computer geschrieben. Ammann selbst komponiert aber nach wie vor hauptsächlich von Hand. «Mich hat diese Coronakrise dazu gezwungen, mich ernsthaft mit den Computerprogrammen und dem Skypen zu beschäftigen, das sehe ich als Vorteil.»
Und hat Ammann nun auch mehr Zeit zum Komponieren? Kreativität lässt sich nicht auf Knopfdruck erzwingen. «Ich arbeite seit einem halben Jahr an einem Bratschenkonzert für das Basler Symphonieorchester, aber ich komme schlecht voran.
Zum Glück konnte ich den Uraufführungstermin nach hinten schieben, und damit auch den Folgeauftrag: ein Orchesterwerk für eines der bedeutendsten Orchester der Welt.» Genaueres dürfe er dazu noch nicht sagen, der Vertrag sei noch nicht unterschrieben. Mit dem Erfolg seines «Klavierkonzerts» ist Ammann nun also ganz oben angekommen.
Das Luzerner Publikum jedenfalls liess sich mitreissen von diesem aufwühlenden Oeuvre, applaudierte die Dirigentin und den Solisten mehrmals auf die Bühne zurück und gab nicht locker, bis sich auch der Komponist zu den Ausführenden aufs Podium begab, was schlussendlich zu einer hochverdienten, langanhaltenden stehenden Ovation führte.
Per Nørgård (*1932) Sinfonie Nr. 8
Per Nørgård wurde am 13. Juli 90 : Was bleibt ist sein Gespür für Unendlichkeit, sein Flair für die weite, lautlose und doch vielsagende nordische Einsamkeit und vor allem sein grossartiges Gespür, dies alles in Partituren umzumünzen, die universal eine grosse, begeisterte Zuhörerschaft finden.
Bekennender Verehrer von Jean Sibelius und Paul Mc Cartney
Er liebt Jean Sibelius und Paul McCartney, ließ sich von Schamanen und Unendlichkeitsreihen inspirieren.
er dänische Komponist Per Nørgård ist ein freundlicher Weltenverschlinger. Wenn auch das Wort „verschlingen“ der Genese seiner Musik vermutlich nicht gerecht wird, so muss er doch Gigantisches in sich aufnehmen, um Werke zu schaffen, die mit derart traumwandlerischer Sicherheit auf der Schwelle zwischen Ordnung und Unordnung operieren.
Die 8. Symphonie aus den Jahren 2010/11 ist abstrakter und für den Hörer nicht ganz so leicht zu erfassen, trotz einiger dramatischer Momente. Sie ist weitgehend auf leichte und schwebende, oft flirrende Texturen aufgebaut, die eine mysteriöse Stimmung ergeben. Die Wiener Philharmoniker spielen engagiert und transparent, was die Klangwelt Norgards sehr ‘kosmisch’ werden lässt.
Susanna Mälkki wird den mannigfachen Facetten dieser Musik auf imponierende Weise gerecht; die Orchesterleistung lässt keinerlei Wünsche offen.«
Jean Sibelius (1865–1957) Tapiola op. 112. Sinfonische Dichtung für Orchester
Der Name leitet sich vom finnischen Waldgott Tapio ab, da sich das Stück insgesamt in seiner Thematik mit dem Wald, dessen Wahrnehmung und dessen mythologischer Bedeutung beschäftigt. Wichtig war Sibelius vor allem das Aufgehen der eigenen Persönlichkeit in der Wahrnehmung der wäldlichen Unendlichkeit. So verfasste er für das Werk eine Strophe in deutscher, englischer und französischer Sprache:
Da dehnen sich des Nordlands düstre Wälder Uralt-geheimnisvoll in wilden Träumen;
In ihnen wohnt der Wälder großer Gott, Waldgeister weben heimlich in dem Dunkel.
Die Streicher werden im Stück vielfach geteilt. Herzstück der sinfonischen Dichtung ist eine Unisono-Phrase bei den Streichern zu Beginn des Stückes, deren wenige Töne sich alle im Rahmen einer Quarte bewegen und die sich nur in Sekundgängen entfaltet. Diese Phrase wird anschließend entwickelt und in zahlreichen Instrumentenkombinationen wiederholt. Im Folgenden werden daraus neue Themen abgeleitet und das Anfangsmotiv immer weiter variiert.
Zum Höhepunkt des Geflechts aus strömenden und einfallsreichen Motiven gelangt das Werk über eine 40 Takte währende aufsteigende Crescendo-Passage der Streicher, worauf das gesamte Orchester einsetzt. Nach sprudelnden Passagen der Holzbläser und Streicher folgt der Schlussteil, der wiederum auf der Grundphrase basiert und auf einem H-Dur-Akkord der Streicher endet.
Die Antwort der Holzblasinstrumente betont die Öde der Stimmung. Der abrupte Schlag der Blechbläser setzt die Phase Allegro moderato in Gang. Die Vieldeutigkeit setzt sich fort, während die Musik zwischen h-Moll und Gis-Moll schwebt. Gis kann auch als ein Ton der h-dorischen Skala interpretiert werden.
Die Antwort der Holzblasinstrumente führt in eine Phase, für die Sibelius in seinen alten Tagen eine programmatische Interpretation gab. Er erzählte seinem Schwiegersohn Jussi Jalas, dass „an der Stelle kommen die Kobolde und die Waldtiere“.spielerischer. Die Schatten werden länger und aus den Fragmenten entfaltet sich nach und nach eine mehr hymnenartige Phase, in der die Streicher edel klingen und echt sibelianisch in einem hohen Register, ein wenig wie in der Symphonie Nr. 7. Der Donner der Blechblasinstrumente ändert die Stimmung ruckartig. Es ist, als ob es aufblitzte und donnerte.
Jetzt beginnt eine lebhaftere allegro-Phase. In der Phase Allegro moderato ist der Puls langsamer und tiefer. Schließlich startet die letzte große Steigerung. In den Tremolos der Streichinstrumente und den brüllenden Effekten der Blechblasinstrumente ist Sibelius am dramatischsten und am originellsten. Tapiola war seine letzte symphonische Dichtung und die lange bearbeitete Symphonie stellte den Komponisten nie so sehr zufrieden, dass er sie für die Veröffentlichung hätte vollenden können.
Tapiola blieb Sibelius’ letztes großes Meisterwerk. „Auch wenn Sibelius nichts anderes komponiert hätte, dieses Werk wäre ausreichend, um ihm einen Platz unter den Großmeistern aller Zeiten zu garantieren“. Das Auditorium schloss sich dieser Feststellung an und spendete den Protagonisten den gebührenden Schlussapplaus für ein Konzert, dessen Höhepunkt Ammanns beeindruckendes, von einem gebürtigen Luzerner gespielten Klavierkonzert war.
Text: leonardwuest.ch
Fotos: https://www.lucernefestival.ch/de
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