Besetzung ud Programm:
DANIEL HARDING Leitung
LEONIDAS KAVAKOS Violine
PROGRAMM
JOHANNES BRAHMS
Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 77 (ca. 40′)
Allegro non troppo
Adagio
Allegro giocoso, ma non troppo vivace
LUDWIG VAN BEETHOVEN
Sinfonie Nr. 6 F-Dur op. 68 «Pastorale» (ca. 40′)
Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande.
Allegro ma non troppo
Szene am Bach. Andante molto mosso
Lustiges Zusammensein der Landleute. Allegro
Gewitter – Sturm. Allegro
Hirtengesang – frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm. Allegretto
Grundsätzliches zum Werk
Obwohl Johannes Brahms sich mit der Komposition seines Violinkonzerts op. 77 recht schwer tat, zählt das Konzert unbestritten zu den Meisterwerken der Geigenliteratur. Ein Grund für die „Geburtswehen“ dieser Komposition mag gewesen sein, dass Brahms von Hause aus Pianist war und nicht immer einzuschätzen vermochte, was er der Geige zumuten konnte. Im Sommer 1878 gab er dann dem Drängen seines Freundes, des Geigers Joseph Joachim, nach und skizzierte während eines längeren Aufenthalts in der Sommerfrische Pörtschach am Wörther See eine erste Fassung des Violinkonzerts.
Des Komponisten Unsicherheit
Die skeptische Distanz, die Brahms seiner Arbeit gegenüber an den Tag legte, schlägt sich auch in seinen schriftlichen Äußerungen nieder. Als er Joachim im August die Violinstimme des ersten Satzes übersandte, redet er abfällig davon, dass „die ganze Geschichte am Ende auf vier Sätze hinauslaufen wird“, und äußert dann die Bitte:
„Nun bin ich erst zufrieden, wenn du ein Wort sagst und vielleicht einige Bemerkungen hineinschreibst: schwer, unbequem, unmöglich usw.“
Joachim ist dem Wunsch nachgekommen. Er hat zahlreiche Änderungsvorschläge gemacht, wobei er vor allem solche Passagen entschärfte, die Brahms offensichtlich am Klavier entworfen hatte, die jedoch auf der Geige unmöglich auszuführen waren. In Joachims Antwortbrief heißt es denn auch:
„Heraus zufrieden ist das meiste, aber ob man’s mit Behagen alles im heißen Saal spielen wird, möchte ich nicht bejahen, bevor ich’s im Fluss mir vorgeführt.“
Brahms bedankte sich bei dem Freund für die Mühe – und beließ dann (bis auf wenige Änderungen) alles beim Alten.
Unspielbar, weil gegen die Geige komponiert?
Deshalb galt Brahms’ Violinkonzert wegen seiner enormen technischen Anforderungen lange als unspielbar, es kursierte das Bonmot vom „Konzert gegen die Geige“. Doch nach der erfolgreichen Uraufführung am Neujahrstag 1879 etablierte sich das Werk bald.
Brahms komponierte kein Virtuosen Konzert, wie Beethoven oder Mendelssohn, sondern ein Werk, wo Solist und Orchester zu gleichen Teilen die musikalische Substanz tragen und eng miteinander verflochten sind. Der Geiger steht nicht im Vordergrund, im Gegenteil, er muss sich des Öfteren gegen das Orchester behaupten.
Rezension
Nach einem ca. 20Sekunden dauernden Streicherintro übernimmt die Oboe für ein Intermezzo in ungefähr derselben Dauer. Eine doch eher ungewöhnlicher Beginn für ein Violinkonzert, bei dem sich der Solist nach etwas über zwei Minuten in das Geschehen „einmischt“, respektive dazu spielt.
Brahms lange Einleitung spannt die Hörer auf die Folter
Vor allem im ersten Satz mit seiner ungewöhnlich langen Einleitung, der berührenden Melodik seines ersten und sehnsuchtsvollen Kantabilität des zweiten Themas wird die Verwandtschaft zu Beethovens Violinkonzerten offenbar. Dazu wird ein drittes Thema vorgestellt, das in seiner stark akzentuierten Anlage (Doppelgriffe in der Violine, Staccato) im denkbar größten Kontrast zur lyrischen Grundstimmung des Satzes steht. Ähnlich wie bei seinen Klavierkonzerten dominiert auch im Violinkonzert das sinfonische Prinzip, mit dem Brahms im Beethoven’schen Sinn die Entwicklung dieser Gattung auf seine eigene Weise fortsetzte. Dies bedeutet auch, dass Brahms bei allen technischen Hürden des Soloparts auf Virtuosität als Selbstzweck verzichtet. Vielmehr wertet der Komponist die Rolle des Orchesters im Sinne des ursprünglichen Miteinander-Musizierens („Concertare“) von Solisten und Begleitung stark auf.
Beeindruckende «Auftritte» der Solo Oboe
Eine schlichte Oboen-Melodie eröffnet das Adagio, in dem die Violine arabeskenhaft in immer neuen Abwandlungen das thematische Geschehen umspielt. Nur in dem kurzen Mittelteil schlägt das Soloinstrument leidenschaftlichere Töne an. Gleich zu Beginn des Schlusssatzes stellt die Solovioline das ungarisch geprägte Hauptthema vor. Sein tänzerischer Atem verleiht dem Rondo-Finale Vitalität und Lebensfreude.
Der Geiger Pablo de Sarasate soll zum Adagio gesagt haben, er denke nicht daran, mit der Geige in der Hand zuzuhören, wie die Oboe die einzige Melodie des Stückes blase.
Leonidas Kavakos packte den Stier bei den Hörnern, respektive die Notenabfolge in ihrer Einzigartigkeit, löste sich aus dem Klangkörper, um, nach atemberaubenden Zwischensoli, sich wieder souverän ins Ganze einzufügen. Dabei entwickelte er in den ganz romantischen Passagen viel Schmelz, lief aber nie Gefahr ins süss – zuckrige abzugleiten. Eine grandiose Demonstration von Können, Souveränität und Ausstrahlung, unterstützt durch ein hervorragendes Orchester, geleitet von einem ebensolchen Dirigenten, belohnt durch frenetischen, langanhaltenden Applaus, der schlussendlich in eine verdiente stehende Ovation mündete, für die sich der Solist mit einer kurzen Improvisation als Zugabe bedankte.
Über den Solisten des Abends
Seit seinem Triumph im finnischen Sibelius-Wettbewerb im Jahr 1985 zählt der griechische Geiger Leonidas Kavakos zu den absoluten Grössen seines Fachs. 2014 war er Grammophone Artist of the Year, im Januar 2017 wurde ihm der renommierte Léonie-Sonning-Musikpreis zugesprochen. Dabei bewahrte sich Kavakos stets sein künstlerisches Profil, indem er Modetrends links liegen lässt und stets die Auseinandersetzung mit dem Werk in den Mittelpunkt stellt. Er spielte zunächst die Falmouth-Stradivari von 1692 und eine Giovanni Battista Guadagnini von 1782 (Turin). Von Februar 2010 bis 2017 spielte Kavakos die Abergavenny-Stradivari von 1724 sowie die Violinen der modernen Geigenbauer David Bagué, Stefan-Peter Greiner und Florian Leonhart. Seit 2017 ist er gem. ‚The Strad‘ December 2020 Vol 131 No 1568′ im Besitz der Willemotte Stradivari von 1734, die Stradivari im Alter von 90 Jahren baute.
Obwohl Beethoven die inhaltliche Aufladung von Kompositionen im Sinne heutiger Programmmusik stets kritisierte, überschrieb er die ersten Skizzen der Pastorale mit „Sinfonia caracteristica“ und später mit „Sinfonia pastorella“, das fertige Werk schließlich mit „Pastoral-Sinfonie oder Erinnerungen an das Landleben“. Entstanden ist die Pastorale in den Jahren 1807 bis 1808, nahezu zeitgleich mit der fünften Sinfonie des Komponisten. Die unterschiedlichen Charakteristika beider Sinfonien werden heute häufig als komplementär bezeichnet, Beethoven selbst äußerte sich dazu nicht.
Ein Gesamtkunstwerk
In den insgesamt fünf Sätzen der sechsten Sinfonie zeichnet Beethoven musikalisch verschiedene Eindrücke eines städtisch geprägten Menschen in ländlicher Umgebung nach. Alle fünf Sätze fügen sich im Gesamtzusammenhang zu einem einheitlichen Bild, von dem Beethoven selbst behauptete, es habe „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“. Den ersten Satz überschrieb er mit „Erwachen heiterer Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande“, der zweite Satz stellt eine „Szene am Bach“ dar. Die ineinander übergehenden Sätze drei, vier und fünf vertonen „Lustiges Zusammensein der Landleute“, „Gewitter und Sturm“ sowie „Hirtengesänge – Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm“.
Dennoch wollte Beethoven die Bedeutung seiner Musik lieber dem Zuhörer selbst überlassen. „Wer auch je nur eine Idee vom Landleben erhalte, kann sich ohne viele Überschriften selbst denken, was der Autor will“, heißt es in einer seiner hinterlassenen Schriften.
Beethoven modern und zeitgemäss, nicht verbittert verbissen
Als hätte Dirigent Daniel Harding die Musiker*innen des Royal Concertgebouw auf „mehr Ausdruck der Empfindung als Malerei“ eingeschworen, klingt die Pastorale hier ausgewogener und ausdrucksstärker denn je. Hardings Dirigat fängt die Charakteristika der Sätze von sanfter Heiterkeit bis hin zum stürmisch-energischen Tonfall ein, der Orchesterklang bleibt dabei stets transparent und ausgeglichen. Ein äusserst moderner und lebendiger Beethoven, der, wie Harding demonstrierte, sogar einen Dirigenten zum tänzeln auf dem Pult animieren kann.
Dass begeisterte Auditorium sparte nicht mit langanhaltendem, stürmischem Applaus für das gesamte Orchester ebenso wie für die einzelnen Register und natürlich auch für die souveräne Leitung von Daniel Harding.
Text: www.leonardwuest.ch
Fotos: http://www.migros-kulturprozent-classics.ch/ und Google
Homepages der andern Kolumnisten:
www.gabrielabucher.ch www.herberthuber.ch