Besetzung und Programm:
- Sakari Oramo (Dirigent)
- Martin Fröst (Klarinette)
Rolf Liebermann – Furioso für grosses Orchester
Wolfgang A. Mozart – Klarinettenkonzert A-Dur, KV 622
Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 1 D-Dur «Der Titan»
Rezension:
Rolf Liebermann – Furioso für grosses Orchester
Ab dem ersten Paukenschlag kann man nachvollziehen, dass dieses Werk polarisierte, so ungewohnt ist der Aufbau der Komposition, ein deutlicheres Bekenntnis zur Zwölftonmusik ist nur schwer vorstellbar. Das in seiner Wildheit kompromisslose Werk weist drei Teile auf, die von einem Rhythmusmuster der Pauken, einem Klavier-Ritornell und einer grossartigen rhythmischen Kontrapunktik des Orchesters belebt werden. So rezitierte man im Spiegel im August 1947:«Das ‹Furioso› für Orchester […] ist offenbar nach Nachkriegsschweizer Massstäben konzipiert. Kaum vorstellbar, dass einem untergewichtigen, sparsam ernährten deutschen Notenschreiber ein so vitales, kraftgeladenes Stück heute einfallen könnte, eine Musik, die aus den Nähten platzt. Ihr wildes Tempo verschlägt dem Zuhörer den Atem. Rasende Sechzehntelgänge versetzen die aus (kaum noch vorhandenen) Leibeskräften blasenden und streichenden Orchestermusiker in Transpiration, und dem zu unaufhörlichem Schlagen verurteilten Pauker werden die Knie weich …», Zitatende. Dirigent Sakari Oramo führte das skandinavische Renommierorchester energisch, aber nicht stur senkrecht geradeaus durch die Partitur, liess mal hie, mal da eine Finesse durchschimmern, polterte etwas weniger, um ein Detail heraus zu schälen. Obwohl für unsere, an harmonischere Klänge gewohnte Ohren, sehr ungewöhnlich, hatten die Zuhörer ihre helle Freude am Konzertauftakt und bekundeten das auch mit dem entsprechendem Applaus.
Solist Martin Fröst versetzte das Auditorium in Ekstase
Für das nun folgende Klarinettenkonzert von Mozart, komponiert grad mal zwei Monate vor seinem Tod 1791, wurde der, am 14. Dezember 1970 in Sundsvall (Schweden) geborene, aktuell einer der anerkannt weltbesten Klarinettisten, Martin Fröst, vom Dirigenten auf die Bühne geleitet und war mit seiner Aura unmittelbar präsent. Fröst ist auch für seine ausdrucksstarke und unkonventionelle Art auf der Bühne bekannt, sein Körpereinsatz, der fast einem Tanzen gleich kommt. Nebst seiner überragenden Technik, spielte er mit ganzem Herzen, lotete die Seele der Klarinette aus und das hörte man in jeder Note des Werkes, ins besonders im „Adagio“. Das Zusammenspiel mit einem gutaufgelegten, ebenbürtigen Klangkörper bescherte dem Auditorium ein superbes Klangerlebnis. Mit Sakari Oramo als agilem flexiblem Taktgeber war das Dreigespann optimal aufgestellt. Dieser Meinung war auch das Publikum und belohnte die Musiker mit stürmischem, starken Applaus, der in eine stehende Ovation mündete.
Frösts unfassbar virtuose Zugabe
Die Standing Ovation wollte und wollte nicht aufhören, so kam der Solist nochmals auf die Bühne und belohnte uns mit einer kurzen, in Englisch vorgetragenen Ansprache über die Improvisation, die er als Zugabe jetzt spielen werde, gefolgt von einem Klesmer, den sein Bruder arrangiert habe. Was dann folgte war schlicht sensationell. Er brillierte zuerst mit der Improvisation, schwenkte dann nahtlos in den Klezmer, bei dem ihn das ausgezeichnete Orchester kongenial unterstützte. Damit versetzten die Musiker, geleitet durch ihren engagierten finnischen Dirigenten Sakari Oramo, das Auditorium in höchste Entzückung, was folgerichtig eine erneute stehende Ovation provozierte.
2. Konzertteil mit der 1. Sinfonie von Gustav Mahler
Die höchste Glut der freudigsten Lebenskraft und die verzehrendste Todessehnsucht: beide thronen abwechselnd in meinem Herzen“, schreibt der 19-jährige Gustav Mahler. Die innere Zerrissenheit, die starken Kontraste sind charakteristische Merkmale seiner Musik. Der typische Mahler’sche Tonfall ist schon in der ersten Sinfonie deutlich zu erkennen. Wie im Nebel, mit einem kaum wahrnehmbaren, stehenden Ton beginnt die Sinfonie Nr. 1 in D-Dur. Einzelne Bläserstimmen nimmt man wahr. Ein dichter, ungeheuer moderner Einstieg in eine Klangwelt, die im zweiten Satz mit einem derben, volkstümlichen Ländler fortgefühlt wird. Der bekannte Kanon „Bruder Jakob“, gespielt vom Kontrabass, leitet den dritten Satz ein, einen grotesken Trauermarsch mit Blaskapelle. Im vierten Satz „Stürmisch bewegt“ nimmt Mahler Bezug auf den ersten und endet jubelnd in strahlendem D-Dur. Für den Dirigenten Sakari Oramo ist ein unverwechselbares Merkmal von Mahlers Musik, die Gleichzeitigkeit von verschiedenen musikalischen Charakteren, die Verbindung von Kunst- und Gebrauchsmusik. Mahler möchte die Welt in Töne fassen und entwickelt einen ganz eigenen Klangkosmos. Diesen ganz eigenen Klang setzten die „königlichen“ aus Stockholm perfekt um. Oramo baute die Spannung geschickt behutsam auf, führte sein Orchester Schritt für Schritt, respektive Note für Note sensibel durch die sehr unterschiedlichen Sätze, bis sich alles im dramatischen erlösenden Finale auflöste und vollendete. Das begeisterte Publikum feierte die Musiker lange und stürmisch, dazu erneut mit Standing Ovations. Ein weiteres grossartiges Konzert in der Migros – Kulturprozent – Classics Tourneereihe.
Text: www.leonardwuest.ch
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