Klares smaragdgrünes Wasser, dichte Wälder und hohe Berge, versteckte und versunkene Städte – das hat die lykische Küste zu bieten. Und Kas, das Kleinod Städtchen am Meer. Ein guter Ausgangsort für Entdeckungsreisen in die Region. So habe ich die Türkei im „original“ fernab von Massentourismus erlebt. Das war 2015…
Osman, ein väterlichvertrauenswürdiger Fahrer erwartet mich am Flughafen Antalya. Ein paar Brocken Deutsch und Englisch spricht er. Er fährt gut und rassig westwärts An die 400 Kilometer lange lykische Küste. Die lykische Küste verdankt ihren Namen der historisch geprägten Landschaft Lykien, die sich bäuchlings zwischen Antalya und dem Köycegiz-See ins Meer vorschiebt. Ruinen über Ruinen sind Zeitzeugen der Antike und eine der ältesten Mittelmeerkulturen, deren Artefakte bis ins Jahr 3000 vor Christus zurückreichen. So hinterliess das von Rätseln umgebene Volk der Lykier eine eigene Schrift, einzigartige Grabmonumente und mit dem Lykischen Bund, dem Rat der Städte, schufen sie das erste demokratische Bündnis der Welt.
Duft von Jasmin und Wacholder
Schon bald sehe und fühle ich eine andere Türkei. Das Aquamarin und Smaragdgrün des schimmernden Meeres. Die Pinien-Kiefergrün-Mischung der üppigen Wälder. Darüber die kargen Dreitausender des Taurusgebirges, welche oft bis im Mai mit Schnee bedeckt sind. Nach einer Stunde Fahrt öffnet Osman das Fenster, deutet auf seine Nase und sagt: Du, riechen – smell! Ich inhaliere die erfrischenden Düfte von Jasmin und Wacholder, die Frische des dichten Waldes.
Kurze Zeit später deutet Osman auf seinen Bauch. Ich kapiere und nicke. In einer romantischen, mit Einheimischen besetzten Gartenbeiz wird ohne zu fragen aufgetischt: Herrliche Meze, lauwarmes Fladenbrot, heisse Forellenfilets mit Ziegenkäse überbacken. 15 Euro – für zwei Personen inklusive Getränke.
Pensionen am Meer und im Dorf
Plötzlich deutet Osman auf seine Augenbraue und sagt: „Kas“ – Die Augenbraue zählt zu den schönsten kleinen Städtchen an der Südküste der Teke-Halbinsel, dem antiken Lykien. Einst auch Land des Lichts genannt. Kas ist ein sehr typischer türkischer Ort. Mit Gassen und Gässchen. Mit Basaren und Wasserpfeifen-Rauchecken. Mit Boutiquen und Teppichgeschäften. Mit Tee- und Kaffeenischen. Mit Düften nach Gewürzen. Und mit unzähligen Beizen, welche (noch) mit einheimischer Küche um die Gunst der Gäste buhlen. Kas zählt 8000 Einwohner, mit den Touristen gang und gäbe das Doppelte.
Kas kennt trotzdem (noch) keinen Massentourismus. Kleine Pensionen, meistens Familienbetriebe direkt am Meer oder im Dorf beherbergen die Gäste. „All inclusive“ ist „out“. Mein Hotel „Kale“ gehört zu den Besten und liegt oberhalb des Dorfes. Mit Aussicht auf das Meer. Mit kleinem schmucken Gärtchen und Gartenwirtschaft. Die Zimmer sind sauber, schlicht, mit türkischen Möbeln eingerichtet. Das Wasser ist ab Hahn trinkbar. Das „Kale“,was Burg heisst, ist keine Bettenburg. 18 Zimmer, 6 Juniorsuiten und 6 Appartements kann man buchen.
Über Treppenstufen ins Wasser
Zeit, mich nach der langen Reise ins bequeme Bett zu legen. Sehr früh um 5.35 wünscht der Muezzin vom benachbarten Minarett mit dem Morgengebet (ab Bändli) im Namen Allahs einen frohen Tag. Ich bin akustisch definitiv in der Türkei. Später erfreue ich mich am reichhaltigen Frühstück (ohne 5-Sterne-Luxus). Dafür mit Eierspeisen von heimischen Hühnern, hausgemachten Tapenaden von Oliven und Tomaten, Salaten, handgerührter Konfiture, Honig, weissem und dunklem Brot und herrlichem Granatapfelsaft.
Sogar Müesli gibt’s und frische Früchte. Feinster türkischer Tee und Kaffee. Und überaus freundliche Mitarbeiter. Auch bietet das Hotel eine einfache schmackhafte Küche. Nun, ich wusste im Voraus, dass das «Kale» keinen weissen Sandstrand zu bieten hat. Nach fünf Minuten Fussweg gings in die zum Hotel gehörende Leymona Beach Bar. Dort lege ich mich auf eine der vielen bereit gelegten Matten unter einen schattenspendenden Olivenbaum. Träume in den Tag hinein und plane Ausflüge. Über Treppenstufen bewegt man direkt ins smaragdgrüne meistens ruhige Meer. In Sichtweite tummeln sich Wasserschildkröten.
Auf die Insel und in die Berge
Die Ausflüge sind äusserst preiswert. Per Schiff zur gegenüberliegenden griechischen Insel Kastellorizo. Mit den pittoresken Häusern, der Burg und den Kirchen. Der Coiffeur im Hinterhof frönt an frischer Luft seinem Handwerk. Überzeugend sind die griechischen Fischküchen direkt an der Hafenpromenade. Mit einer handgeschriebenen Rechnung, die wohl kaum je vom Steueramt erfasst wird.
Aber einmalig gut sind der Rotbarsch und der Pulpo vom Grill. Ab in die Berge ist ein Muss – ein Ehepaar und ich dürfen mit Osman, der mich umarmt, als ob wir uns schon lange kennten, hinauf ins Gebirge. Nach Gömbe mit seinem grünen See. Die engen Strassen führen durch kleine Dörfchen, über Hochebenen und Weideland bis zum Staudamm, dem Wasserspeicher für Kas. Kurvenreich und holprig geht die Fahrt weiter zum Ziel auf 2150 Meter über Meer. Die mondlandschaftlich anmutende Bergwelt rund um den grünen See scheint ein Kraftort zu sein. Osman kniet nieder und schlürft genüsslich vom klaren Wasser. Auf dem Heimweg, im Bergdorf Ucarsu mit seinem kunterbunten Markt sitzen wir mitten unter Einheimischen und geniessen mit ihnen würzige Köfte (Hacktätschli) vom offenen Grill.
Zuhinterst im wilden Canyon
Es gibt noch vieles mehr zu entdecken. Sakliklent, die versteckte Stadt, welche nur durch einen eiskalten Fluss in einem wilden Canyon des Taurusgebirges zu erreichen ist. Und Phellos, die Grabanlage oberhalb von Kas, welche unvergessliche Eindrücke aus 700 Jahren v. Chr. vermittelt. Dann Kekova, die versunkene Stadt, welche mich eigentlich mehr lockt als die Ruinen über der Erde. Mit einer luxuriösen Schifffahrt auf einer Privatjacht, wo auf Steuerbordseite der Schiffskoch während der Fahrt Doraden auf dem Holzkohlegrill brutzelt und der Kapitän während des Essens die Geschichte der versunkenen Stadt erzählt.
Gebackener Trompetenfisch
Apropos Essen. Kas hat für jeden Geschmack und jedes Budget eine grosse Anzahl an Restaurants. Deren 150 seien es, verrät mir Hafis Sevign, der Chef meiner Lieblingsbeiz Lola. Wo ich den besten „Octopus en Casserole“ esse.Und, für mich, eine Premiere der gebacke Trompetenfisch ist. Die ottomanisch zubereitete, geschmorte Lammschulter und der pfiffige türkische Sish Kebab mit gehacktem Rindfleisch landen alsbald auf der Favoritenliste.
Die cremigen, mit Curry gewürzten Salzkartoffelwürfel ebenso. Meistens trinke ich Bier oder Wein. Als «Verdauerli» einen Raki – ähnlich dem griechischen Ouzo. Die Rechnung liegt jeweils zwischen 15 und 20 Schweizer Franken – alles inklusive.
Wer sich vom Massentourismus mit Gäste – Ghettos, von kilometerlangen Sandstränden und Menschenmassen, die sich an der Sonne rösten, von Schlaraffenland-Buffets mit Kaviar, Hummer und Co. verabschieden und die Türkei einmal anders erleben möchte, liegt an der lykischen Küste smaragdgrün richtig. «Güle güle» – auf Wiedersehen – ruft mir Osman, der Bleibende, Mit «Bol Sans» – alles Gute, verabschiede ich mich als Gehender.
Gut zu wissen
Anreise Flug entweder nach Antalya oder Dalaman. (Edelweiss Air beispielsweise fliegt beide Destinationen an) Die Fahrzeit nach Kas dauert ca. 31⁄2 bzw. 2 Stunden. Transfer Flughafen–Hotel hin und zurück ca. Franken 180.–. Möglicher direkter Reiseanbieter: Brigitte Krickl Reisen, www.brigitte-krickl-reisen.de Tel 0049 711 326 08 46 Währung ist die türkische Lira (TL).Der Kurs schwankt sehr. Im Durchschnitt:100 TL = ca. 30 Franken.
Mastercard, Travel Cash und Visa sind praktisch überall akzeptiert. Im Gegensatz zur Ostküste sind die Preise in TL angegeben. Euro mitzunehmen lohnt sich nicht. Die beste Reisezeit ist von April bis Oktober. (Juli, August sind sehr heiss.) Im September 2015 war es zum Beispiel noch bis 38/40 Grad. Ausflüge bucht man im Hotel – ca. 35 Euro pro Person (inklusive Verpflegung)
Kleine Fotodiashow der Reise von Herbert Huber:
Text und Fotos: www.herberthuber.ch
Homepages der andern Kolumnisten: annarybinski.ch www.noemiefelber.ch
www.gabrielabucher.ch www.leonardwuest.ch http://paul-lascaux.ch/