Interlaken (ots) – Parteien: Département de l’instruction publique genevois c. «Vigousse»
Thema: Anhörung, Identifizierung
Beschwerde teilweise gutgeheissen
Zusammenfassung
Betroffene vor sich selber schützen
Darf eine satirische Zeitschrift Missstände in einem öffentlichen Amt anprangern? Selbstverständlich, sagt der Presserat. Dies entbindet die Redaktion aber nicht davon, die Verantwortlichen des Amts vor der Veröffentlichung schwerer Vorwürfe anzuhören. Zudem erinnert er daran, dass Medien Betroffene unter Umständen vor sich selber schützen und deshalb trotz deren Einwilligung auf eine identifizierende Berichterstattung verzichten sollten. «Vigousse» berichtete in mehreren Artikeln über Missstände in der Abteilung Jugendschutz des Genfer Jugendamts. Die Genfer Erziehungsdirektion beschwerte sich daraufhin beim Presserat über falsche Unterstellungen, die Vermischung von Fakten und Kommentar, die unterlassene Anhörung zu schweren Vorwürfen sowie eine unzulässige Nennung des Namens einer betroffenen Familie. Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut. Trotz einiger Ungenauigkeiten sei eine Verletzung der Wahrheitspflicht nicht erstellt. Und die Leserschaft von «Vigousse» sei angesichts des sarkastischen Tonfalls in der Lage, den kommentierenden Charakter der Berichte zu erkennen. Demgegenüber wäre die Zeitschrift verpflichtet gewesen, die Verantwortlichen der kritisierten Behörde vor der Veröffentlichung beispielsweise mit den Vorwurf zu konfrontieren, eine grosse Zahl von Kindern missbräuchlich platziert zu haben und ausserhalb des Gesetzes zu agieren. Zudem wäre es unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der betroffenen Kinder angebracht gewesen, trotz des Einverständnisses der Eltern auf eine identifizierende Berichterstattung einer von den kritisierten Massnahmen betroffenen Familie zu verzichten.