Seebühne Bregenz, Der Freischütz Carl Maria von Weber, besucht von Léonard Wüst

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Agathe links und Ännchen Foto Anja Köhler

Die Dialoge in der Oper Der Freischütz auf dem Bodensee werden mit beständiger Geräuschkulisse aus Wolfsgeheul, Rabengeschrei und Filmmusik aufpeppt Foto Anja Köhler

Szenenfoto von Anja Köhler

Szenenfoto von Anja Köhler

 

 

Besetzung und Produktionsteam:

Ottokar Liviu Holender
Kuno Raimund Nolte
Agathe Elissa Huber
Ännchen Gloria Rehm
Kaspar Oliver Zwarg
Max Thomas Blondelle
Samiel Niklas Wetzel
Ein Eremit Andreas Wolf
Kilian Philippe Spiegel
Brautjungfern Sarah Kling, Sarah Schmidbauer
Musikalische Leitung Enrique Mazzola
Wired Aerial Theatre | Statisterie der Bregenzer Festspiele
Bregenzer Festspielchor | Prager Philharmonischer Chor
Wiener Symphoniker

Libretto von Friedrich Kind nach der gleichnamigen Erzählung
von August Apel (1810); Dialogfassung von Jan Dvořák nach
einem Konzept von Philipp Stölzl

Regisseur Philipp Stölzl nimmt das Wort Frei der Titelfigur Freischutz äusserst wörtlich, um eine wirklich sehr freie Adaption des Opernklassikers auf die Bregenzer Seebühne zu bringen.

Die Szenerie und die Handlung

Der Freischütz Bühnenfoto von Anja Köhler

Ein unwirtliches Dorf in Deutschland kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg: Der junge Amtsschreiber Max liebt Agathe, die Tochter des Erbförsters Kuno. Doch damit Max sie heiraten kann, muss der ungeübte Schütze sich einem archaischen Brauch unterwerfen und einen Probeschuss absolvieren – für ihn eine unerfüllbare Herausforderung.

Das weiß auch der zwielichtige Kriegsveteran Kaspar, der den Amtsschreiber dazu überredet, mit ihm um Mitternacht in der Wolfsschlucht Freikugeln zu gießen, die niemals fehlgehen. In seiner ausweglosen Situation schließt Max in der Wolfsschlucht einen Pakt mit dem Teufel. Was er nicht weiß: Sechs von den verfluchten Freikugeln treffen, die siebte aber lenkt der Teufel dorthin, wo er will. Währenddessen versucht seine Verlobte Agathe vergeblich in der stürmischen Nacht Schlaf zu finden. Am Morgen ihres Hochzeitstages packt sie eine düstere Vorahnung. Selbst ihre beste Freundin Ännchen kann sie nicht aufmuntern. Und als es zum Probeschuss kommt, hat Max ausgerechnet die siebte Kugel geladen. Er legt an, zielt und drückt ab …


Der Freischütz Bühnenfoto von Anja Köhler

Der entscheidende, alle Fragen beantwortende Satz fällt schon im ersten Drittel, wie nebenbei: „Der Film geht weiter“, entfährt es dem Teufel da am Ende einer jener Unterbrechungen, in denen er das Geschehen den ganzen Abend über ironisch-satirisch kommentiert. Dies nach einem zu ausgedehnten szenischen Intro in Form von «Grabschänderei» mit dem ausgraben einer Toten durch Max.

 

Regisseur Philipp Stölzl setzt auf Filmästhetik


Der Freischütz Bühnenfoto von Anja Köhler

Windschiefe Holzhäuser ragen zwischen kahlen Bäumen aus dichter Schneedecke empor. Dabei war es sicher einmal idyllisch in diesem Dorf mit dem Kirchturm, dem Wirtshaus, dem wassergetriebenen Mühlrad unterm kugelrunden Mond. Doch nicht nur der Dreissigjährige Krieg, an dessen Ausgang Carl Maria von Webers Oper «Der Freischütz» spielt, hat seine Schäden hinterlassen, sondern anscheinend auch eine eisige Sintflut, in der bereits die Hälfte des Dorfs versunken ist. Es herrscht Winter mitten im Sommer am Bodensee. Wo sonst der Blick gerne auf ein beherrschendes, monumentales Element fokussiert wird, man erinnere sich nur an Stölzls Bregenz-Debüt mit Verdis „Rigoletto“, wofür er einen riesigen Clownskopf bauen ließ, regiert diesmal eine Wimmelbildatmosphäre, angesiedelt irgendwo zwischen Pieter Brueghel und dem Dorf Hogsmeade aus „Harry Potter“. Hügelkuppen, Baumskelette und windschiefe Häuser, aus deren Kaminen ab und zu der Rauch aufsteigt, ächzen unter einer eisigen Schneedecke. Links ein schiefer Kirchturm, dahinter das Wirtshaus, oben rechts eine Mühle mit Bach, vorne Eisschollen zum Schlittschuhlaufen, rechts dramatisch überschwemmte Häuser. Denn nicht nur den Dreißigjährigen Krieg, sondern auch eine Flutkatastrophe hat Stölzl die dörfliche Gemeinschaft mehr schlecht als recht überleben lassen.

Die ikonischen Bregenzer Bühnenbilder sind Kult

Szenenfoto von Anja Köhleronly.

Ein möglichst ikonisches Bühnenbild gehört zum Spiel auf dem See der Bregenzer Festspiele. In der Vergangenheit wurden vor allem italienische Titel gespielt. Nun steht, im letzten Jahr der Intendanz von Elisabeth Sobotka, eine deutsche Oper mit deutschen Dialogen auf dem Programm. Das gab es zum letzten Mal im Jahr 2013 mit der «Zauberflöte» des Regisseurs David Pountney.

Ja, Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl hat die Oper salopp ausgedrückt, «verfilmt», Carl Maria von Webers epochemachenden „Freischütz“, diese musikalische Ikone der deutschen Schauerromantik. Und Stölzls Drehbuch muss sich dabei natürlich auch nicht an den geradlinigen Erzählfluss der Partitur halten – auf der Leinwand ist schließlich alles möglich. Also beginnt die Aufführung auf der Bregenzer Seebühne gleich mit ,ja, einem Begräbnis – oder genau genommen noch früher. Jemand wird gezwungen, ein Grab auszuheben, und dann kurzerhand aufgeknüpft: Der Outcast ist Max, denn er hat seine eigene Braut erschossen. Dann rollt der Teufel die Geschehnisse als Rückblende auf. Und erst zwei Stunden später erlebt man mit, dass sogar der Gottseibeiuns manchmal fünf gerade sein lässt und auf den harten Realismus zugunsten eines schönen Scheins zu verzichten bereit ist.


Szenenfoto von Anja Köhlernly.

Es herrscht weiterhin Kriegsrecht in dieser rohen Winterlandschaft einer echten Endzeit. Max und Kilian buhlen derweil um die Gunst der Jungfrau Agathe, tragen ihren Kampf um die rotblonde Schöne natürlich direkt im Wasser aus. …

 

 

 

„Der Freischütz“ strotzt vor Tricktechnik und Lichteffekten


Samiel reitet den Drachen Foto Anja Köhlernly.

Und natürlich werden in der Wolfsschluchtszene dann keine Kosten gescheut, die Begegnung mit dem Unheimlichen mit aller zur Verfügung stehenden Tricktechnik in, nun ja, Musical- oder Bühnenshowästhetik darzustellen: Schauwert top! Das wirkt – besitzt jedoch seinen Höhepunkt nicht in einer feuerspeienden Riesenschlange, einem auf dem Wasser brennenden Zauberkreis oder diversen Lichteffekten, sondern beim Auftritt des plötzlich real wirkenden „Wilden Heeres“: Da wird sehr schnell klar, dass die Sage in marodierenden Horden wurzelt, die einst plündernd und brandschatzend Schrecken verbreitet haben.

Große Momente im „Freischütz“

„Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber wurde zum Sinnbild der deutschen Romantik, mit Szenen im dunklen Wald, dem Reich der Geister, Zauber und Märchen, mit der Verführung eines jungen Mannes durch das Böse und der Erlösung durch das Opfer einer hingebungsvollen Frau.

Viele inhaltliche Eingriffe

Szenenfoto von Karl Forster

Für die Inszenierung „Der Freischütz“ bei den Bregenzer Festspielen hat Regisseur Philipp Stölzl Handlung, Dialoge und Gesangstexte verändert. Wer aber als erklärte Opernfreundin Webers Musik in ihrer unerhörten Spannweite erleben möchte, die von biedermeierlicher Behaglichkeit über innovative Klangeffekte bis zu ekstatischen Ausbrüchen reicht, oder wer als Purist Eingriffe in Handlung, Dialoge und Gesangstexte auf ein Minimum beschränkt sehen will, muss freilich in diesem und im nächsten Bregenzer Sommer sehr stark sein. Denn in seinem Movie-Skript geht Stölzl ziemlich unbekümmert über vieles Altbekannte hinweg und knetet sich den Inhalt nach seinem Gusto zurecht.


Der Freischütz Bühnenfoto von Anja Köhlery.

Bei ihm ist Max kein Jäger, sondern ein Amtsschreiber und als solcher schon von vornherein kein Meisterschütze; Schützenkönig Kilian, zum Nebenbuhler aufgewertet, wirbt forsch um Agathe, die sich aber nicht beirren lässt in ihrer Liebe zu Max, immerhin ist sie von ihm schwanger – und einmal, nach einem langen, innigen Kuss mit ihrer treuen Freundin Ännchen, die Agathe wohl im Geheimen liebt, sieht es aus, als wollten die beiden Frauen à la Thelma und Louise durchbrennen, am besten in die nahe Schweiz, zur Erheiterung des Publikums. Da hört man den verständlicherweise angesetzten Modernisierungshebel doch deutlich knirschen bei seiner Arbeit.

Der Freischütz Bühnenfoto von Anja Köhler

Da verschwinden Personen und tauchen aus dem Wasser wieder auf, da verwandelt sich der das böse Ende zum Guten wendende Eremit (ein veritabler Wiedergänger Gottvaters) unmerklich in jenen Teufel, den die Regie zur Hauptfigur aufwertet. Niklas Wetzel ist denn auch ein wunderbar wendiger und witziger Samiel, für den Jan Dvořák zusätzliche und dazu gereimte Texte erfunden hat, mit denen der Versucher durch den gesamten Abend führt, der auf diesem Wege zu des Teufels Moritat mutiert. Das Ende verrät er seinem Publikum in einem der Ouvertüre vorangestellten Vorspiel auf dem Theater. Agathe wird – von Max tödlich getroffen – zu Grabe getragen, der miserable Schütze selbst wird an einem der kahlen Bäume aufgeknüpft. Im Finale wiederholt sich das Bild, bis der Eremit das Happy End verkündet, so das unhappoy End vergessen macht.

Webers Partitur wird zurechtgestutzt

 


Der Freischütz Bühnenfoto von Anja Köhler

Webers Partitur wird zu all dem und mehr in großen Stücken und unter entscheidenden Auslassungen wie eine Filmmusik verwendet, zurechtgestutzt, montiert: Das C-Dur-Jubelfinale der spät doch noch einsetzenden Ouvertüre zum Beispiel ergäbe natürlich keinen Sinn in Stölzls Konzept, also folgt gleich der „Viktoria!“-Chor. Noch angereichert wird das durch zusätzliche Soundtrack-Nummern von Cembalo, Kontrabass und Akkordeon, die freilich nichts Wesentliches zum Ganzen beitragen – im Gegensatz zur dominanten, pointiert eingesetzten Geräuschkulisse aus allerlei Vogelgekreisch und Donnergrollen, die die „Harry Potter“-Atmosphäre schon mal in Richtung Edgar-Wallace-Filme von anno dazumal verrückt.

 

 

Krasse Eingriffe in von Webers „Der Freischütz“

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Der Freischütz Bühnenfoto von Anja Köhler

Im Gedächtnis bleibt freilich: Es spektakelt in höchstem Ausmaß im neuen Spiel auf dem See, das mit dieser Version von „Der Freischütz“ deutlich in die Nähe einer allzu populären Musical-Machart gerät. Opernpuritaner mögen darüber die Nase rümpfen, denn erstmals in der Geschichte der großen Open Air-Inszenierungen am Bodensee greift ein Regieteam überaus, fast schon zu beherzt, in die Werkvorlage ein. Manche Musiknummern fehlen ganz (die zweite Arie des Ännchens), andere sind verstümmelt (Kaspars Trinklied) oder werden durch Samiels Kommentare unterbrochen (Agathes „Leise, leise“). Wo das reine Spektakel nicht mehr hilft, um das frühromantische Weltbild von Webers in die Gegenwart zu retten, da wird eifrig ironisiert sowie Agathe und Ännchen ein modernes Frauenbild verordnet, das der Freundschaft der beiden emanzipierten Damen eine gleichgeschlechtliche Note verleiht: Sie wollen aus der Enge des Dorfs im Ländle (wo wir uns ja letztlich mit der Inszenierung befinden) in die nahe Schweiz fliehen.

Keine Gassenhauer wie bei Puccini, Verdi und Co.

Schwieriger zu beurteilen die gesanglichen Leistungen da in Webers Werk halt die Arienknaller, die fast jedes Kind pfeifen kann, fehlen.

Carl Maria von Weber hat durchgehend schöne Melodien für diesen Klassiker der deutschen Spätromantik geschrieben, ohne dabei die eine, alles überragende Melodie, zu kreieren, deren Darbietung spontanen Szenenapplaus geradezu erfordert.

Noch am auffälligsten Gloria Rehm (Ännchen) und die Arie der Brautjungfern «Wir winden dir den Jungfernkranz» zu einem Wasserballett, (gekonnte Einlage der Synchronschwimmerinnen), und Elissa Huber (Agathe)..

Thomas Blondelle (Max) mit «Durch die Wälder, durch die Auen» war stimmlich den Damen ebenbürtig, was auch für die restlichen Männerstimmen zutrifft. Der Dirigent Enrique Mazzola beginnt mit den Wiener Symphonikern etwas zäh und unscheinbar, kommt aber dann auf Touren: Mazzola will Weber bewusst wohl nicht als Proto-Wagner darstellen, sondern als Weiterentwicklung von Mozart und Beethoven, das funktioniert ganz gut.

Publikumsliebling: Niklas Wetzel als Samiel

Der Publikumsliebling aber war der allgegenwärtige teuflische Conférencier Samiel in Gestalt von Niklas Wetzel.

Da gelingen durchaus einige Pointen, aber: Viel, in Summe ganz gewiss zu viel neu gedichteten, gereimten Text hat ihm Stölzl zugedacht, hin und wieder muss er Offensichtliches wiederholen und auswalzen, damit es auch wirklich alle kapieren.

In Bregenz spielt man also weniger Webers „Freischütz“ als ein Fantasy-Music-Movie frei nach Weber.

Der Schlusschor (Ja! lasst uns zum Himmel die Blicke erheben) preist die Milde Gottes gegenüber denen, die reinen Herzens sind und versöhnt das Auditorium mit dieser doch sehr stark zerzausten Version von Webers «Freischütz».

Einige der ganz grossen Arien gibts dann 2026/27 wieder in Bregenz zu geniessen, wenn die «Kameliendame» von Alexandre Dumas dem Jüngeren, in Form von Giuseppe Verdis Vertonung als «La Traviata» die Bühne entern und das Publikum begeistern wird.

www.youtube.com/watch?v=stdh0MH3A8E

Trailer Pakt mit dem Teufel – Oper „Der Freischütz“ auf der Bregenzer Seebühne

www.ardmediathek.de/video/swr-kultur/pakt-mit-dem-teufel-oper-der-freischuetz-auf-der-bregenzer-seebuehne/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzIwODM5OTg

Text: www.leonardwuest.ch Fotos: bregenzerfestspiele.com/de

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Ännchen und die Wassernixen Foto Daniel Ammann

Der Freischütz Bühnenfoto von Anja Köhler

Szenenfoto von Daniel Ammann

 

Dieser Beitrag wurde am von unter leitartikel und kolumnen von léonard wüst, musik/theater/ausstellungen, weltweit veröffentlicht.

Über Leonard Wüst

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