Bern (ots) – Die Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH hat sich mehrfach vor Ort in Como und Chiasso ein Bild der Situation gemacht und die rechtliche Lage analysiert. Fazit: Die SFH ortet Handlungsbedarf bei der Wegweisungspraxis und fordert insbesondere den sofortigen Stopp der Wegweisungen von unbegleiteten Minderjährigen.
Den Grossteil der Probleme an der Südgrenze ortet die SFH nicht beim Grenzwachtkorps (GWK) selbst, sondern in Bundesbern und bei der Kantonsregierung in Bellinzona. Denn hier wird entschieden, wie die Grenzwächter vorgehen sollten und welches Recht zur Anwendung kommt. Für die SFH ist zentral, dass Menschen, die in der Schweiz Schutz suchen, Zugang zum Schweizer Asylverfahren erhalten und ihre Rechte zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sind.
Rechtswidrige Wegweisungen von UMAs sofort stoppen
Immer wieder kommt es zu Wegweisungen von unbegleiteten Minderjährigen Asylsuchenden (UMA) nach Italien. Das Vorgehen wurde durch Finanzminister Ueli Maurer in der Session erläutert: Kinder und Jugendliche, welche nicht explizit um Asyl ersuchen, werden den italienischen Behörden übergeben. Dieses gemäss den Schweizer Behörden mit dem Rücknahmeabkommen mit Italien legitimierte Vorgehen verstösst gegen die Vorgaben des Bundesgesetzes über Ausländerinnen und Ausländer (AuG). Die Schweiz muss statt dessen sicherstellen, dass weggewiesene Kinder im Rückkehrstaat einem Familienmitglied, einem Vormund oder einer Aufnahmeeinrichtung übergeben werden, welche den Schutz des Kindes gewährleisten (Art. 69 Abs. 4 AuG). Die Überstellung an die italienischen Behörden reicht dafür nicht aus.
EURODAC-Daten vor Ort erstellen und überprüfen
Bisher werden an der Grenze keine EURODAC-Daten geprüft. Dadurch kann das GWK vor einer Wegweisung nicht überprüfen, ob eine Person bereits in einem anderen Land ein Asylgesuch gestellt oder ein Aufenthaltsrecht hat. Solche Personen dürften von Gesetzes wegen im Schengen-Raum nicht direkt weggewiesen werden. Die SFH fordert, dass der Datenabgleich an der Südgrenze möglich gemacht und die dafür nötigen Infrastrukturen eingerichtet werden.
Rechtliche Transparenz schaffen
Aktuell ist nicht nachvollziehbar, auf welcher Rechtsgrundlage das GWK Wegweisungen ausspricht. Die Zuständigkeit für Wegweisungen ist in den Fällen, in denen kein Asyl-Verfahren durchgeführt wird, klar beim Kanton, der diese Befugnis mangels gesetzlicher Grundlage nicht auf das GWK übertragen kann. Nach Ansicht der SFH ist bei Kontrollen über einen längeren Zeitraum zudem die Vereinbarkeit mit dem Schengener Grenzkodex nicht gegeben, da dieser systematische Kontrollen verbietet, die «die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen» haben (Art. 23).
Die Situation in Como und Chiasso lässt keinen Platz für einen Schweizer Alleingang, sondern muss gemeinsam mit den europäischen Partnerländern angegangen und gelöst werden.[content_block id=29782 slug=ena-banner]