Besetzung und Programm:
Hutongs of Peking
Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35
Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47
Rezension:
Hutongs of Peking, eine selten gespielte musikalische Dichtung
Die selten gespielte musikalische Dichtung Hutongs of Peking (1930/31) von Aaron Avshalomov ist die Hommage eines russischen Komponisten an das Leben in den alten Gassen der chinesischen Hauptstadt. Das Werk war in verschiedener Hinsicht ein passender Auftakt im Rahmen des Themas „Identität“ des Lucerne Festivals. Avshalomov, der 1894 geborene Sohn kaukasischer Juden, wuchs in Nikolajewsk am Amur, weit im Osten Sibiriens auf. Nach seiner Studienzeit am Konservatorium in Zürich und einem Zwischenhalt in den USA lebte er lange Zeit in China, wo er sich mit der traditionellen chinesischen Musik auseinander setzte. In den 1940er Jahren war er Chefdirigent des Städtischen Orchesters Shanghai. Hutongs of Peking ist eine musikalische Betrachtung des asiatischen Lebens, jedoch ganz aus dem Blickwinkel einer westlich-romanischen Symphonik. Es war passend, dass am Konzert gerade das Schanghai Symphony Orchestra unter der Leitung von Long Yu, die musikalische Dichtung im Rahmen eines russischen Programms spielte. Das Orchester entwickelte eine gewaltige Steigerung aus einem Piano heraus. Wuchtige, an russische Symphonik erinnernde Bläsersätze, unterstützten Kantilenen der Geigen, welche in Ganztonskalen den Charakter chinesischer Musik vermittelten. Klangflächen wurden prägnante Rhythmen mit besonderen Instrumenten wie Gongs und Becken entgegengesetzt. Schliesslich verklang die Tonmalerei in einem Piano. Die interessante Kombination musikalischer Elemente wirkte wie eine Reise in eine exotische Welt, erinnerte an westliche Orchestermusik für einen asiatischen Film, aus heutiger Sicht war die Wirkung ein wenig plakativ.
Maxim Vengerov spielte Tschaikowsky grossartig
Das Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 35 schrieb Pjotr Iljitsch Tschaikowsky nach einem psychischem Zusammenbruch im Jahr 1878 in Clarens am Genfersee, wo er sich zur Erholung befand. Der durchaus glückliche, ja sogar euphorisch gestimmte Grundtenor, der den Charakter des Violinkonzerts ausmacht, zeigt, dass Tschaikowsky während des Komponierens – das Werk entstand innerhalb nur weniger Wochen – seine Lebensfreude wieder gefunden hatte. Nach wenig Akzeptanz bei der Uraufführung gehört es heute zu den beliebtesten und meistgespielten Instrumentalstücken der klassischen Musikliteratur. Die Interpretation von Maxim Vengerov in Zusammenarbeit mit dem Shanghai Symphony Orchestra wurde mit Spannung erwartet.
Trotz aller hohen Erwartungen überraschte Vengerov durch Präsenz, Klangschönheit und den Klangreichtum, den er seiner Stradivari zu entlocken verstand. Sein Spiel war dynamisch und auch die filigranen Passagen waren im ausverkauften KKL gut hörbar, trotz Grösse des Orchesters. Sein Spiel, mal süss, mal zart, mal kraftvoll, überzeugte jeden Moment. Der Kadenz im ersten Satz fügte Vengerov eigene Noten hinzu. Diese und der darauf folgende Einsatz des Orchesters mit der Kantilene der Querflöte waren bewegende Momente. Leider wurden die zahlreichen musikalischen Impulse Vengerovs von Dirigent und Orchester wenig aufgenommen. Die Streicher klangen über lange Strecken dumpf und die Begleitung des Orchesters liess Dynamik und ein bewegliches Zusammenspiel vermissen. Trotzdem war das Violinkonzert ein Erlebnis, welches das Publikum mit stehendem Applaus dankte.
Shostakovitch regt zum Nachdenken an
In der Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47 von Shostakovich schlugen das Schanghai Symphony Orchestra unter der Leitung von Long Yu ein neues Kapitel auf. Im Allegretto, welches reich an Stimmungen, filigranen, auch klein besetzten Passagen und raffinierten Rubati ist, blühten Dirigent und Orchester mit einem Mal auf. Die Musik begann zu atmen, der zuvor bisweilen unflexible Klang war verschwunden, er wurde mit einem Mal sinnlich, mit Tiefe versehen, ohne der Struktur der Musik zu schaden. Das Largo folgte innig, expressiv und bewegend, schuf so einen drastischen Kontrast zum folgenden Allegro non troppo. Die Aktualität der Musik wurde dem Zuhörer bewusst und auch die Wichtigkeit von Shostakovich’s musikalischer Rede in der Gegenwart. Die Musik ist in ihrer Doppelbödigkeit mit keinem Ton geeignet ein autoritäres Regime zu glorifizieren. Der vermeintliche Jubel entpuppt sich als erzwungen. Shostakovich schrieb: „Das ist doch keine Apotheose. Man muss schon ein kompletter Trottel sein, dies nicht zu hören.“
Shostakovitch’s bedeutungsvolle und berückende Musik und die Zugabe eines instrumental gespielten chinesischen Volksliedes, mit dem das Orchester das Programm abrundete, wurden vom Publikum begeistert aufgenommen und mit stehenden Applaus verdankt.
Text: Peter Meyer Fotos: www.lucernefestival.ch
www.gabrielabucher.ch Paul Ott:www.literatur.li