Das Landschaftstheater Ballenberg inszeniert dieses Jahr einen spannenden historischen Stoff. «Veronika Gut – Aufruhr in Nidwalden» erzählt die Geschichte einer mutigen und umstrittenen Frau, die vor 200 Jahren der französischen Besatzung die Stirn bot und dafür einen hohen Preis bezahlte
Ein wunderschöner Vorsommerabend im Ballenberg, Besucher krabbeln immer noch wie Ameisen über die Gehwege. Ich spaziere mit der Marlise Fischer, der Regisseurin des diesjährigen Landschaftstheaters «Veronika Gut – Aufruhr in Nidwalden», Richtung Probeplatz «östliches Mittelland». Seit Anfang März laufen die Leseproben, seit 1. April die Proben hier vor Ort im Ballenberg. Es sei wichtig, möglichst früh damit anzufangen, um die Kondition der Schauspielerinnen und Schauspieler aufzubauen, erklärt Marlise.
Einerseits muss draussen sehr viel lauter gesprochen werden, das fordert die Stimme, dann sind da die langen Wege, die zurückgelegt werden müssen, das spezielle Terrain, wenn’s zum Beispiel geregnet hat, das alles bringe die Spieler an ihre Grenzen, das weiss sie aus eigener Erfahrung als Schauspielerin.
Herr Bühler und die Tribüne
Heute stimmen die meteorologischen Gegebenheiten, das Terrain ebenfalls. Eher schwieriger ist es mit den Besuchern, die sich das Spektakel dieser Probe nicht entgehen lassen möchten und nicht verstehen, dass ihre Präsenz, ihre Kinderwägen und ihr Ein- und Ausgehen in den Häusern, die ja jetzt eigentlich geschlossen sind, stören könnten. Macht nichts, meint Marlise Fischer, wir fangen an. Auf ihrem kleinen Holzpodest mitten in der blühenden Wiese hat sie einen Tisch, zwei Regiestühle und zwei Sonnenschirme aufgestellt. Die Spieler für die heutige erste Probeszene sind da. Karin Wirthner, welche die Veronika spielt, erzählt noch vom Fotoshooting und dem Interview, welches sie soeben geführt hat. Melchior muss noch schnell die Decke und den Schmuck bereitlegen, einer muss noch auf die Toilette. Herr Bühler, wie der Requisiteur und Bühnenbildner Christof Bühler scherzhaft genannt wird, schreitet derweilen mit langen Schritten durch die Wiese und schlägt mit einer Axt Pflöcke ein. Er markiert den Standort der Zuschauertribüne, ein wichtiger Faktor, beeinflusst er doch die Ausrichtung der Schauspieler auf dem Terrain. Ab und zu bleibt er stehen, schaut sich um, kratzt sich auch mal den Rücken mit seiner Axt. Die Spieler, die nicht mitmachen in dieser Szene, suchen sich etwas Schatten unter den Sonnenschirmen, eine strickt Babysöckchen, eine isst einen Apfel, einer geht seinen Text durch, einer versucht, mit einem Grashalm zu pfeifen und ein junges Mädchen hat ein Schulheft aufgeschlagen.
Chalen-Dorlis Liegeplatz
Veronika hat ihre Haube angezogen, das Chalen-Dorli (Silvia Jost) holt ihren Heubündel, Franzli fragt noch schnell nach ihrem Stichwort, dann gehen alle auf „Position 4.1.“ und die Regieassistentin ruft: «Achtung, es geht los». Hans kommt die Strasse runtergerannt, Ludwig Kayser schreit ihm hintennach, was einige Besucher, welche neu dazugekommen sind, ziemlich zu erschrecken scheint. Aber langsam pendelt sich alles ein, die letzten Schaulustigen gehen auf Abstand und nach Hause, die Szene läuft, und sie läuft gut. Marlise gibt mit leiser Stimme Anweisungen an die Assistentin Mirjam Berger «Hans muss weniger weit rennen» «Franzli muss schneller reagieren» «Chalen-Dorli“ muss vor dem Baum liegen» aber alles in allem ist sie zufrieden. Sie versammelt die Truppe beim Brunnen, gibt ihre Bemerkungen weiter, beantwortet Fragen. Man hört zu, nickt, witzelt, lacht und es geht in die zweite Runde. Ein Auto fährt vorbei, Grillen zirpen, ein Hahn kräht, eine Amsel singt und man hört das Wasser rauschen bei der Mühle. „Chalen-Dorli“ liegt nun am richtigen Ort, Franzli reagiert früher und spontaner, Hans rennt weniger weit. Und man wird sich bewusst, wie unglaublich viele kleine Details berücksichtigt werden müssen, damit eine Szene dichter und authentisch wird. Oder wie viele Schattierungen ein einziger Satz haben kann, und was die Tonart, in welcher er wiedergegeben wird, ausmacht, oder wie unterschiedlich eine Aussage sein kann, je nachdem, wie ein Gegenstand gehalten wird.
Inzwischen ist auch Toni zur Probe gestossen, «grad richtig zum Verprügeln», meint Marlise. Die Szene hat’s dann auch in sich: Wenn Hans auf den Feldweg fällt und Toni – zwar mit einem Schaumstoff-Stock – auf ihn einschlägt, zuckt man unwillkürlich zusammen, das wirkt alles sehr echt und ziemlich heftig. Hans windet sich auf dem Boden, Staub wirbelt auf, seine Kleider werden grau und schmutzig und man hört das knirschende Geräusch der Schuhe auf dem steinigen Weg. Landschaftstheater eben.
Die Probe läuft richtig gut, die Regisseurin ist zufrieden, die Abendsonne taucht alles in ein wunderbares Licht. Die Spieler scheinen richtig Spass zu haben, eine eingeschworene Gesellschaft. Friedli hat belegte Brote gebracht, es gibt eine kurze Pause, beim Brunnen am langen Tisch wird gelacht, diskutiert, ein Aussenstehender könnte es für eine Szene aus dem Stück halten.
Bis Ende Monat sollen alle Szenen einmal ganz durchgearbeitet sein, dann fängt alles von vorne an, dann wird verfeinert, gefeilt, perfektioniert bis zur Premiere am 5. Juli. Dass heute alle ein bisschen länger bleiben müssen, stört keinen. Wie könnte es auch, mit dieser Kulisse, bei diesem Wetter, bei dieser Stimmung!
Ich gehe zurück zum Ausgang, es ist jetzt überall ganz still, ein Eichhörnchen läuft vor mir über den Weg, eine Maus rennt ins Gebüsch. Das Postauto bringt mich durch eine unglaublich heile Welt hinunter nach Brienz, und ich merke erst, wie gefangen ich noch bin von der Stimmung des Theaters, der Kulisse, des Lichts, als ich in Brienz in den Interlaken-Luzern-Express steige, der bis auf den letzten Platz gefüllt ist mit Gruppen indischer, chinesischer und japanischer Touristen.
Kleine Fotodiashows der Proben zur Produktion von Markus Flück, Landschaftstheater Basllenberg und Gabriela Bucher – Liechti:
Text: www.gabrielabucher.ch Fotos: fotogalerien.wordpress.com/2017/05/27/landschaftstheater-ballenbergveronika-gut-aufruhr-in-nidwalden-probenbesuch-von-gabriela-bucher-liechti/
Zusätzliche Infos über das Stück „Veronika Gut“ sowie Reservationen auf
www.landschaftstheater-ballenberg.ch
Der Vorverkauf ist eröffnet
Nähere Informationen und Ticketbestellung über:
landschaftstheater-ballenberg.ch/de/Willkommen