VIPS: Einsparungen im Gesundheitswesen – Lösungsansätze für die Schweiz

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Zug (ots) – Der Schweiz wird attestiert, dass sie eines der besten Gesundheitssysteme der Welt hat. Die demografische Entwicklung und neue medizinische Leistungen werden jedoch zwangsläufig auch einen weiteren Anstieg der Gesundheitsausgaben verursachen. Damit stellt sich die Frage, wie die verfügbaren Mittel noch effizienter eingesetzt werden können, um den Anstieg der Gesundheitsausgaben zu dämpfen. In seinem Bericht „Gesundheit2020“ spricht der Bundesrat von einem Effizienzpotenzial im Gesundheitswesen von rund 20%, was einem Betrag von gegen 14 Milliarden Franken jährlich entsprechen würde. Das Institut Infras hat im Auftrag der vips Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz Lösungsansätze untersucht, mit denen allfällige Fehlanreize reduziert und die Effizienz verbessert werden könnte.

Die heute publizierte Infras-Studie „Mehr Effizienz im Gesundheitswesen – ausgewählte Lösungsansätze“ hat Lösungsansätze für Effizienzsteigerungen aus dem Ausland zusammengetragen und die potenziellen Wirkungen ausgewählter Ansätze in der Schweiz analysiert. Ziel war es, die Effizienzpotenziale in der Schweiz sowohl qualitativ wie auch quantitativ abzuschätzen. Zudem wurden die fünf ausgewählten Lösungsansätze in Experteninterviews auf eine mögliche Übertragung auf die Schweiz hin überprüft.

Kein schlafender Riese, aber vorhandene Potenziale

Zwar ergaben sich aus der Untersuchung interessante Lösungsansätze für die Schweiz, mit welchen die Effizienzpotenziale auf einen einstelligen Prozentbereich der Gesundheitsausgaben geschätzt wurden. Der „schlafende Riese“ aber, „mit dem auf einen Schlag grosse Effizienzpotenziale geweckt werden könnten, existiert nicht“, hält die Infras in ihrem Bericht fest. So schätzen die Studienleiter zum Beispiel das Einsparpotenzial mit dem Lösungsansatz Bundled Payment für den Knieersatz, Hüftersatz, Myokardinfarkt und Diabetes auf Grund ausländischer Erfahrungen auf 650 Millionen Franken, was rund 1% der gesamten Gesundheitsausgaben entspricht. Bundled Payment ist ein Pauschal-Vergütungsmodell, bei dem alle im Rahmen einer Behandlungsepisode erbrachten Leistungen vereinigt und pauschal abgegolten werden. Ansätze für einen solchen Ansatz gibt es bereits in der Schweiz, zum Beispiel im Bereich Knie- und Hüftgelenkersatz.

Die Infras-Studie zeigt auch, dass keine grundlegenden Systemumwälzungen erforderlich sind, um die Effizienz im Gesundheitswesen zu verbessern. Viele der Lösungsansätze lassen sich gut in das bestehende System einbetten und in diesem Rahmen umsetzen. Dies betrifft insbesondere die Ansätze, die eigeninitiierte organisatorische Veränderungen bei den Leistungserbringern bewirken. Als Beispiel nennt Infras den Lösungsansatz „Skill-Mix“, die Art und Weise wie die Arbeiten und Kompetenzen innerhalb und zwischen den Gesundheitsberufen verteilt werden. Erste Ansätze dazu gibt es bereits in der Schweiz: Der Skill-Mix zwischen Ärzten und Pflegefachpersonen mit erweiterten Rollen wird in der Schweiz bereits in somatischen Spitälern oder in integrierten Versorgungmodellen wie Gesundheitszentren und Gruppenpraxen erprobt.

Ein im Ausland angewandter Lösungsansatz, welcher jedoch grundlegende Systemänderungen voraussetzen würde, sind sogenannte „Medical Savings Accounts“ (MSA). Dabei handelt es sich um individuelle Gesundheitssparkonten, die der Versicherte äufnet, indem er regelmässige Beiträge einbezahlt, analog dem Pensionskassen-System. Im Krankheitsfall finanziert er die Ausgaben für die Behandlung aus den selber ersparten Mitteln. Damit sollen das Gesundheits- und Kostenbewusstsein und die Eigenverantwortung der Versicherten gefördert werden. Ein Vorteil des Ansatzes ist, dass er in einer älter werdenden Bevölkerung die Belastung zwischen den Generationen ausgleichen kann. Da die Anreize für kostenbewusstes Verhalten in der Schweiz mit den Selbstbehalten und der Franchise jedoch bereits hoch sind, empfiehlt Infras, MSA ergänzend zum bestehenden System zu prüfen. Zurzeit prüft Liechtenstein im Rahmen der Revision des Krankenversicherungsgesetzes ein neues Versicherungsmodell, welches Elemente von MSA enthält.

Patientenbedürfnisse in den Mittelpunkt

Viele Lösungsansätze zur Effizienzsteigerung ergeben sich, wenn die Patientenbedürfnisse in den Mittelpunkt des Gesundheitssystems gestellt werden. Erwähnt wird dazu die Förderung des Selbstmanagements. Selbstmanagement wird als Oberbegriff für Therapieansätze verwendet, denen gemeinsam ist, dass Patienten zur besseren Selbststeuerung angeleitet und zu einer eigenständigen Problembewältigung befähigt werden. Beispiele dafür sind Patientenexpertenprogramme, Programme für chronisch Erkrankte und Patientenschulungen. Auch dazu gibt es bereits Ansätze in der Schweiz, wie die Evivo-Patientenschulungen, das Projekt Leila für Langzeiterkrankte, Patientenschulungen für Rheumaerkrankte und die Diafit-Gruppen für Diabetes-Erkrankte. Mit diesem Lösungsansatz könnten gemäss Schätzungen der Studienleiter allein bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz Effizienzgewinne von 0,3% der Gesundheitsausgaben erzielt werden.

Auch medizinische Guidelines sind ein möglicher Lösungsansatz, der sich an den Patientenbedürfnissen orientiert. Medizinische Guidelines sind Empfehlungen, die sich an Ärzte richten und die Behandlung von Patienten optimieren sollen. Sie setzen Behandlungsstandards und tragen damit dazu bei, die Prozesse effizienter zu gestalten und Fehler sowie überflüssige Leistungen zu vermeiden. Untersuchungen aus dem Ausland zeigen, dass Guidelines Behandlungsergebnisse verbessern und Kosten sparen können. Die Erkenntnisse zur Wirksamkeit sind allerdings noch schwach, da sie wissenschaftlich schwierig nachzuweisen sind. In der Schweiz sind Guidelines in einigen Bereichen wie Onkologie und Kardiologie bereits im Einsatz.

„Bottom-up“ als zielführende Strategie

Infras stellt auf Grund der Experteninterviews fest, dass „bottom-up“-Lösungen die grösste Akzeptanz finden dürften. Eine Verordnung der Lösungsansätze „top down“ scheint nicht zielführend. Vielmehr sollten sich die Lösungsansätze über die Leistungserbringer verbreiten. So haben auch die vergangenen gesundheitspolitischen Entwicklungen gezeigt, dass Initiativen in Richtung Effizienz fördernder Lösungsansätze häufig Vorbehalte im Wege stehen, welche teilweise mit der Sorge um die Qualität, Nichtwissen und mangelnden Erfahrungen zusammenhängen. Infras plädiert daher dafür, die Lösungsansätze im Kleinen zu erproben, um Erfahrungen zu sammeln.

Nutzenorientierter Wettbewerb fördert Anreize für Leistungserbringer

Infras hält in ihrer Studie fest, dass der Staat und andere Stakeholder, wie die Tarifpartner, helfen können, den Weg für die Verbreitung der Lösungsansätze freizuräumen. Sie sollten darauf hinwirken, dass sich ein nutzenorientierter Wettbewerb entwickelt, welcher Anreize für die Leistungserbringer setzt, sich effizient zu verhalten. Im heutigen Gesundheitssystem bestehen verschiedene regulatorische Barrieren wie die Einzelleistungsvergütung, der Kontrahierungszwang, die unterschiedliche Finanzierung des stationären und ambulanten Sektors sowie der noch nicht richtig funktionierende Risikoausgleich, welche eine Etablierung der Lösungsansätze behindern. Dabei ist es auch wichtig, Steuerungs- und Regelungssysteme des Gesundheitswesens sicherzustellen. Dazu gehören die Messung der Leistung und der Qualität der erbrachten Leistungen. Solche Informationen sind für einen nutzenorientierten Wettbewerb zentral, da sie sicherstellen, dass der Wettbewerb auf Ergebnissen basierend stattfindet und die Leistungserbringer zur Rechenschaft gezogen werden können.

Bundesrat hat Herausforderungen erkannt

Infras kommt zum Schluss, dass Entwicklungen wie eHealth, die Qualitätsstrategie, die Verfeinerung des Risikoausgleichs, der Ausbau an Versorgungsdaten sowie das Gesundheitsberufegesetz umgesetzt werden müssen, um den nutzenorientierten Wettbewerb zu stärken und die untersuchten Lösungsansätze voran zu bringen. Wichtige Schritte in diese Richtung sind dabei auch die in der Strategie „Gesundheit2020“ angesprochene Stärkung der Pauschalabgeltung gegenüber Einzelleistungstarifen sowie die Revision bestehender Tarife, welche Anreize für den nutzenorientierten Wettbewerb setzen. Der Bericht schliesst mit den Worten: „Die Strategie Gesundheit2020 zeigt grundsätzlich, dass der Bundesrat die grössten Herausforderungen und notwendigen Stossrichtungen erkannt hat. Es wird nun darum gehen, diese auch konsequent unter Mithilfe aller Stakeholder umzusetzen.“

Dieser Beitrag wurde am von unter schweizweit veröffentlicht.

Über Leonard Wüst

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