Bern (ots) – Eine Studie der Städteinitiative Sozialpolitik und der Berner Fachhochschule belegt, dass knapp zwei Drittel der Langzeitbeziehenden in der Sozialhilfe nachweisbar unter gesundheitlichen Beeinträchtigungen leiden. Sie sind oft zu krank, um im Arbeitsmarkt zu bestehen, und haben dennoch meist keinen Anspruch auf eine IV-Rente.
Der «Kennzahlenvergleich zur Sozialhilfe in den Schweizer Städten» widmet seinen Schwerpunkt dieses Jahr dem Langzeitbezug in der Sozialhilfe. Denn die 13 teilnehmenden Städte beobachten seit mehreren Jahren, dass die durchschnittliche Bezugsdauer in der Sozialhilfe steigt: Von 32 Monaten 2006 auf 40 Monate im Jahr 2014. In einer repräsentativen Stichprobenerhebung wurden daher Sozialhilfefälle analysiert, die seit mehr als drei Jahren Sozialhilfe beziehen.
Typische Risikofaktoren für eine lange Unterstützungsdauer durch die Sozialhilfe sind:
- Über 45 Jahre alt - Keine Berufsausbildung - Erwerbstätigkeit nicht möglich, z.B. wegen Gesundheit, Familienpflichten oder noch in Ausbildung - Mehrere Kinder gehören zur Familie und das jüngste Kind geht noch nicht zur Schule Im Durchschnitt aller Städte verfügen 57 Prozent der Langzeitbeziehenden über keine berufliche Ausbildung. Die letzte Erwerbstätigkeit liegt fast vier Jahre zurück und war oft im Niedriglohnbereich mit prekären Arbeitsbedingungen (Arbeit auf Abruf, befristete Stellen).
Oft zu krank für den heutigen Arbeitsmarkt, aber «zu gesund» für IV-Rente
Frappant ist die gesundheitliche Situation von Menschen, die seit mehr als drei Jahren auf Sozialhilfe angewiesen sind. Knapp 63 Prozent haben belegte gesundheitliche Beeinträchtigungen. Davon sind etwa 40 Prozent physische Einschränkungen aufgrund von Unfall oder Krankheit, rund 20 Prozent haben ein akutes Suchtproblem, gut 10 Prozent eine ärztlich attestierte Depression und rund 30 Prozent eine andere psychische Krankheit. Bei einer Mehrheit der Personen mit Gesundheitsproblemen haben die zuständigen Sozialdienste eine IV-Rente in Betracht gezogen. Knapp 10 Prozent erhalten heute eine IV-Rente oder -Teilrente, deren Höhe jedoch nicht zur Existenzsicherung reicht und durch die Sozialhilfe ergänzt wird. Im Durchschnitt aller Städte wurde ein Viertel der IV-Anträge von Langzeitbeziehenden abgelehnt. Keine IV-Anmeldungen erfolgen bei Suchtkrankheiten, da diese grundsätzlich keinen Anspruch auf IV begründen.
Sozialhilfequoten in den Städten blieben 2014 mehrheitlich stabil
Der Kennzahlenvergleich zur Sozialhilfe in Schweizer Städten umfasst 13 Städte aus der ganzen Schweiz und erscheint jährlich seit 16 Jahren. Auch 2014 blieben die Sozialhilfequoten in den beteiligten Städten mehrheitlich stabil. Die Zahl der Sozialhilfebeziehenden entwickelt sich in etwa parallel zum Bevölkerungswachstum. In den letzten Jahren verzeichneten die grössten Städte im Vergleich (Zürich, Basel, Bern und Lausanne) stabile oder leicht rückläufige Fallzahlen und Sozialhilfequoten. Die mittelgrossen Städte Winterthur, Luzern und Schafhausen registrierten eine Zunahme bei den Fallzahlen. Einen deutlichen Rückgang im Jahr 2014 verzeichnete Lausanne. Die Reduktion ist teilweise auf eine effizientere Fallführung und die positiven Auswirkungen eines Ausbildungsprogrammes für Jugendliche zurückzuführen. Teilweise erklärt sie sich durch technische Anpassungen in der kantonalen Statistik.
Das Sozialhilferisiko ist generell höher im westlichen Landesteil und in grösseren Städten mit Zentrumsfunktion als in kleineren Städten der Deutschschweiz. Die finanzielle Belastung der Städte durch die steigenden Kosten der Sozialhilfe ist insbesondere in jenen Kantonen beträchtlich; wo ein angemessener Lastenausgleich fehlt.
Bildung und soziale Integration fördern
Die Städteinitiative Sozialpolitik plädiert dafür, bei Langzeitbeziehenden die soziale Integration zu fördern – denn sie ist die beste Gesundheitsvorsorge. Ebenso ist auf allen Stufen und in allen Lebensphasen in die Bildung zu investieren – bei Kindern und Erwachsenen. Bildung ist grundsätzlich eines der wichtigsten Rezepte gegen Sozialhilfeabhängigkeit: Personen mit einem Berufsabschluss haben ein geringeres Sozialhilferisiko als niedrig Qualifizierte.
Die Kennzahlen 2014 zur Sozialhilfe der Städte / Zusammenfassung - Im aktuellen Kennzahlenbericht Sozialhilfe, der auf der schweizerischen Sozialhilfestatistik des Bundesamtes für Statistik (BFS) basiert, sind unverändert 13 Städte vertreten: Basel, Bern, Biel, Lausanne, Luzern, St. Gallen, Schaffhausen, Schlieren, Uster, Wädenswil, Winterthur, Zug und Zürich. - Die Sozialhilfequoten in den Städten blieben mehrheitlich stabil. Die Zahl der Sozialhilfebeziehenden entwickelt sich demnach ungefähr parallel zum Bevölkerungswachstum. - Im Durchschnitt der 13 Städte war 2014 gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme der Sozialhilfefälle um 2.8 Prozent zu verzeichnen. - Das Sozialhilferisiko ist höher in den Städten im westlichen Landesteil, in den grösseren Deutschschweizer Städten mit Zentrumsfunktion (Basel, Zürich, Bern, Winterthur und St. Gallen) sowie in stadtnahen Agglomerationsgemeinden mit günstigem Wohnraum (Schlieren) als in den kleinen Städten der Deutschschweiz. - In den Städten wird viel unternommen, um neue Sozialhilfebeziehende möglichst rasch wieder von der Sozialhilfe abzulösen. Das widerspiegelt die starke Dynamik im Fallbestand während eines Jahres: Rund 20 bis 33 Prozent aller laufenden Fälle können abgeschlossen werden, während 25 bis 30 Prozent der Fälle neu in die Sozialhilfe kommen. - Die durchschnittliche Bezugsdauer hat sich gegenüber dem Vorjahr erneut erhöht und liegt aktuell bei 40 Monaten. - Wer lange Sozialhilfe bezieht, hat meist Gesundheitsprobleme: Knapp zwei Drittel aller Langzeitbeziehenden in den Städten haben belegte gesundheitliche Beeinträchtigungen.
Weitere Informationen unter www.staedteinitiative.ch > [content_block id=29782 slug=ena-banner]