Stadt der Vögel, Freilichtspiel Tribschen Luzern, Première vom 13. Juni 2017, besucht von Léonard Wüst

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Stadt der Vögel, c Emanuel Wallimann, die Waldstätter AG

Leitung und Besetzung:

Text
Gisela Widmer
Regie
Annette Windlin
Ausstattung
Ruth Mächler
In der Hauptrolle
Walter Sigi Arnold
Komposition
Hansjörg Römer /
Christian Wallner
Musik
Myrta Amstad / Christian Wallner /
Pit Furrer / David Zopfi
Choreografie
Lukas Schmocker
Licht
Martin Brun

Grundsätzliches zum Stück und zu den Freilichtspielen:

Seit 2005 finden auf Tribschen bei Luzern, wo 1866 bis 1872 Richard Wagner wohnte, die Luzerner Freilichtspiele jedes zweite Jahr statt.

Für die diesjährige Produktion hat Gisela Widmer, angeregt durch den Luzerner Altphilologen Kurt Steinmann, den 2400 Jahre alten Klassiker „Stadt der Vögel“ von Aristophanes neu geschrieben.

Die Ausgangslage: Natürlich handeln die beiden Athener, Makarios («der Glückselige») und Georgos («der Erdverbundene »), zuerst einmal aus purem Eigennutz. Sie haben einiges auf dem Kerbholz und gleichzeitig die Nase voll von den Wirrnissen in Athen. Das aber sind nur die äusseren Beweggründe für ihre Flucht: In ihren Herzen werden sie von der urmenschlichen Sehnsucht nach einem «guten Ort» getrieben. Diese anfänglich noch diffuse Sehnsucht führt sie in die Vogelwelt. Denn der Vogel ist wie der Mensch ein zweibeiniges und aufrecht stehendes Wesen; dazu aber fähig, zu fliegen und über allem und all überall zu sein.

Und hier, in dieser Vogelperspektive, liegt das Geheimnis von Aristophanes’ Komödie: Man muss die Fähigkeit entwickeln, das Bekannte von aussen zu betrachten, um es wirklich zu erkennen.

Und die beiden Athener erkennen: Die Erde mit ihren streitenden Menschen ist ein hoffnungslos schlechter Ort. Genauso wie der Olymp mit seinen strafenden Göttern. Und am schlechtesten ist die Abhängigkeit der Menschen von den Göttern. Selbst die Vögel haben darunter zu leiden: Sie werden von den Menschen

gefangen, gebraten und manchmal sogar den Göttern geopfert.

So werden die beiden Athener und die Vögel Verbündete. Eine Stadt wollen sie bauen. Unabhängig sein und frei! Die Götter sollen verhungern. Und die Menschen sollen halt selber schauen. Diese Vogelstadt, die da herbeigesehnt wird, ist eine Utopie, also ein «Nichtort». Goethe hat in seiner Übersetzung für die Vogelstadt den Begriff «Wolkenkuckucksheim» kreiert. König Wiedehopf tritt auf, und es stellt sich heraus, dass er ebenfalls einst ein Athener war, der von den Menschen schlecht behandelt wurde und sich deshalb den Vögeln zuwandte.

Rezension:

Natürlich, wie an solchen Premieren gewohnt, erschien viele lokale, gar einige nationale Prominenz, auch gaben sich andere Regisseure und Schauspielerinnen die Ehre. So etwa auch der Intendant des Luzerner Theaters Benedikt von Peter, der  kürzlich erwähnte, dass er in Zukunft noch vermehrter mit lokalen Laienbühnen zusammen arbeiten will. Auf Tribschen (Zuschauertribüne mit 550 gedeckten Plätzen), boten die Schauspielerinnen physisch eine starke Leistung, konnten sie doch nicht auf die Höhen des Spielgeländes fliegen, sondern mussten hinauf- und auch wieder herunter sprinten. Hauptdarsteller Walter Sigi Arnold (Makarios) hatte, als Primus inter Pares, die Szenerie jederzeit im Griff. Die Live Musik spielte diesmal eine eher untergeordnete Rolle, konnte sich eigentlich nur bei Begleitung der Gesängen der Nachtigall (König Wiedehopfs Gattin) profilieren.

Etwas ungewohnt ist es schon, dass die Zuschauertribüne diesmal nicht Richtung See ausgerichtet ist, sondern um 180 Grad gedreht Richtung Richard Wagner Museum. Somit entfällt der spektakuläre Blick über den Vierwaldstättersee Richtung Bürgenstock, dafür kann die Regisseurin so die Hauptfiguren, in diesem Fall die diversen Vögel, im Wald, mal sichtbar, mal unsichtbar, platzieren, und es ergeben sich mehr Variationen für das Lichtdesign.

Zuerst betreten Makarios und Georgos, vor ihren Gläubigern aus Athen geflohen, die Szene, auf der, im Rund verstreut, diverse Eier liegen. Neugierig beäugt von einem Wächtervogel, sinnieren die beiden über ihre Zukunft und träumen davon, sich dem Volk der Vögel anzuschliessen und in Zukunft ohne menschliche Sorgen mehr zu leben. Nicht mehr vogelfrei, sondern frei wie ein Vogel. Sie wandelten so auf den Spuren von König Wiedehopf, der schon bis etwa zur Hälfte zu einem Vogel mutiert war und auf Bitten des Wächtervogels, zusammen mit seinem Aktuar, nun auch die Szene bereicherte. Ab jetzt wurde diskutiert, argumentiert und lamentiert. Schlussendlich sah sich Wiedehopf genötigt, eine Vogel-Volks-Vollversammlung einzuberufen. Also schälten sich Vögel aus den herumliegenden Eiern, strömten die gefiederten Genossen aus allen Himmelsrichtungen zur Versammlung. Unter dem Vorsitz ihres Königs wurde heftig gegackert, ob man die zwei menschlichen Asylsuchenden in ihr Volk aufnehmen soll. Um bessere Karten für ihr Ansinnen zu haben, versprach Makarios, die Gründung einer eigenen „Stadt der Vögel“, demokratisch strukturiert nach athenischem Vorbild an die Hand zu nehmen. Schlussendlich zeigt sich das Vogelvolk einverstanden, hatten ihnen doch die beiden Fahnenflüchtigen reichlich Honig über den Mund gestrichen.

Ab da ereignet sich Seltsames in der neu gegründeten Vogelstadt, später von J.W. Goethe „Wolkenkuckucksheim“ genannt, die Stadt in den Wolken, die sich die Vögel als Zwischenreich gebaut haben. Schon bald zeigen sich fast menschliche Verhaltensweisen, wie das Streben nach Macht. Einfluss und Ruhm wollen sich auch hier ihren Weg bahnen. Eigenschaften, die dem Gefieder bis dato völlig fremd waren. Eine Gruppe Beamter aus Athen erscheint, um alles der Ordnung halber zu regulieren, was es für so eine Stadtgründung braucht. Da sind Chaos und Streit schon vorprogrammiert. Sie Vögel wehren sich mit Federn und Schnäbeln, wie sie es schon vorher gegen Makarios und Georgos getan hatten Dazu gipfelt das, von Makarios und Georgos initiierte, Aufbegehren gegen die Allmacht der Götter in einem eigentlichen Boykott. Es werden keine Opfergaben (Schafe, Kälber usw.) mehr dargeboten, was die Götter fast verhungern lässt und bemüssigt, mit dem aufmüpfigen Vogelvolk zu verhandeln. Dafür wird von Zeus zuerst Göttin „Iris“ per Transportseil zum aufmüpfigen Vogelvolk geschickt, um die Lage zu sondieren. Die trifft aber mit ihrer Schnodderigkeit und dem affektierten, hochnäsigen Gehabe den Ton nicht, sodass der Göttervater drei weitere hochrangige Abgeordnete schickt,  u.a. Herakles, seinen Sohn und Poseidon, einen Bruder. Als Wesen, die in einer Zwischenwelt leben, haben die Vögel dabei die besseren Karten als beispielsweise die Menschen, die auf der Erde, in diesem Fall vor allem im ungeliebten Athen, leben. Irgendwann wird irgendwie ein fast guteidgenössischer Kompromiss gefunden, der von den  Vögeln singend („Alle Vögel sind schon da“) und tanzend gefeiert wird. Am Schluss findet die Hochzeitsfeier von Georgos mit der Göttin Basileia statt, auf der die Götter erscheinen und die Vögel in militärischer Formation vorbeimarschieren. Schlussendlich ziehen sich die Götter in den Himmel zurück. Die Menschen bleiben auf der Erde und dazwischen ist eben diese Fantasie einer „Stadt der Vögel“, die auf Tribschen von einem engagierten Team auf und hinter der Bühne in die Realität umgesetzt wurde.

Der Stoff aus dem Jahre 414 vor Christus wurde zügig, amüsant und farbenprächtig inszeniert, aufgelockert durch ein paar lokalpolitisch eingefügte Bonmots und vom Publikum mit entsprechend grossem Applaus belohnt, den auch, die nun ebenfalls auf die Szene geeilten „Macher“, geniessen durften.

Kleine Fotodiashow der Produktion von Emanuel Wallimann, die Waldstätter AG:

Fotos: www.freilichtspiele-luzern.ch, Wikipedia und Homepage von

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