»Gold! Gold! Wir haben Gold gefunden!« Der kleine Junge tauchte plötzlich vor meinem Wagen auf, tanzte und schrie wie verrückt. Die Pferde bäumten sich und die Ladung kippte auf die Strasse. Ich sprang wütend vom Bock herunter und versohlte ihm den Hintern. »Rotzjunge, mach es nicht noch einmal, sonst breche ich dir alle Knochen!«
Im Jahr 1848 fuhr ich jede zweite Woche zum Amerikanerfluss hinauf, um die Leute bei der Baustelle mit Fleisch, Brot und Werkzeugen zu versorgen. Oben entstand inzwischen eine kleine Siedlung, ganze Familien, darunter viele Mormonen mussten wegen der neuen Sägemühle dauernd am Ort wohnen. Meine Pferde waren vom mühsamen Weg schon erschöpft genug, und der dumme Bubenstreich machte sie noch störrischer.
Ich las die schweren Säcke und Körbe fluchend vom Boden auf, als die wütende Mutter des Jungen, eine Mormonenfrau, vor mir erschien und lauthals gegen die Misshandlung ihres Sohnes protestierte.
»Ach was, hab lieber acht, dass er nicht vor einen Wagen springt und anständigen Menschen keine Lügengeschichten erzählt!«, wollte ich sie beschwichtigen. Die Frau wurde noch wütender. »Mein Junge lügt nie! Was hältst du für eine Lüge?« »Dass ihr Gold gefunden habt.«
Sie wurde plötzlich ganz still, anscheinend kämpfte sie mit sich selbst. Endlich kam ihre Antwort zögernd: « Unsere Religion verbietet das Lügen. Ja, es ist wahr. Im Flussbecken haben die Männer Gold gefunden.« Ich blickte sie ungläubig an. Als Beweis holte sie rasch ein gefaltetes Tuch aus dem Haus, öffnete es vorsichtig und hielt es mir vor die Nase. »Jetzt staunst du, was? Merke dir, mein Junge lügt nie!« Es wurde mir schwindlig: Auf dem Leinen verstreut lagen in goldigem Staub hie und da Körnchen, sogar Klumpen von unbeschreiblich schönem Glanz.
»Sutter weiss es schon seit zwei Wochen. Es gibt sogar richtige Goldadern, nicht nur Schwemmgold. Aber wir durften es niemandem erzählen, Gold verdirbt die Menschen, meint der Patron. Ich habe nichts gesagt, verstanden? Wenn Gott uns hilft, sind wir bald alle steinreich!« Ich war verdutzt. Die Frau – ganz zufrieden mit der Wirkung ihrer Worte – drückte mir zum Abschied einige Körnchen in die Hand. Ich weiss nicht, wie ich nach Hause kam; in meinem Kopf jagten sich die Gedanken: Gold! Sutter wird reich, sehr reich sogar, die Wirtschaft wird hier auf Goldgewinnung umgestellt und er kann seine treuen Mitarbeiter endlich gut bezahlen. Und wenn …, wenn wir selbst Gold finden?
Wie vom Teufel geritten …
Leider muss ich jetzt meine unrühmliche Rolle in der Geschichte erzählen. Ich ging im Fort gleich in die Schenke und bestellte grossmäulig den besten Branntwein, den der Wirt auf Lager hatte. »Nono, ist heute Zahltag?« fragte der Alte misstrauisch. »Nei … hm … « Ich verschluckte mich in der Aufregung. »Ich zahle mit Gold.« Verdammt, es war ausgerutscht! Es gab kein Zurück mehr, weil alle Anwesenden in schallendes Gelächter ausbrachen und sich über mich lustig machten. Das konnte ich doch nicht auf mir sitzen lassen – und zog selbstbewusst die Goldkörner aus der Tasche!
Die Mäuler wurden still, die Köpfe beugten sich über meine Hand. Der Wirt machte die Zahnprobe, die Köchin holte irgendwoher Scheidewasser. Die ungehobelten Kerle standen in Ehrfurcht herum wie sonst nur ehrliche Christen vor dem Altar. Zuletzt kam der Schmied schweren Schrittes herbei und machte sich mit dem Hammer an die Arbeit: Aus einem Körnchen, klein wie ein Stecknadelkopf, wurde ein hauchdünnes Blatt, gross wie eine Münze. Er hielt es hoch und das Licht schimmerte durch.
Der Mann – der Wichtigkeit seiner Aussage bewusst – sprach nach reiflicher Überlegung: »Es ist Gold … feinsten Grades.« Und ich musste in meiner Dummheit noch nachdoppeln! »Ja, oben beim Amerikanerfluss liegt Gold, man muss es nur auflesen!« Der Bann war gewichen. Die Leute schrien wie verrückt und sprangen in die Luft, einer hatte sogar eine Schusswaffe abgefeuert.
»Gold, Gold, Gold!«
Der Lärm holte Sutter und andere Männer aus dem Kontor. Als er alles erfuhr, sagte er beschwichtigend: »Ja es ist wahr. Ich sehe, dass mein Geheimnis nun doch heraus ist. Lasst uns hoffen, dass wir alle reich werden. Aber wir müssen es für uns behalten, sonst ist der Berg von Goldsuchern überlaufen – dann ist alles zum Deifel.« Sein Lieblingsspruch war typische Basler Mundart. Sogar im Englischen sagte er oft: »Gone to the dyfel.«
Den Wahnsinn konnte niemand mehr aufhalten
Das Fieber packte zuerst die Arbeiter bei der Sägemühle: Die Männer suchten sonntags im Gebirge nach Gold. Bei der nächsten Fuhre merkte ich, dass die Leute schon während der Woche mit selbstgebastelten Werkzeugen beim Schürfen waren, sodass die Arbeit bei dem Bau nicht vonstattenging. Jeder hatte etwas gefunden, um damit zu prahlen oder sogar die Arbeit ganz zu quittieren. Die Nachrichten über Goldfunde vermehrten sich, aber alles wurde masslos übertrieben. Eines Tages rannten sogar die Mormonen bei Sutter die Tür ein und verlangten nach ihrer Entlassung: Auch sie konnten der Versuchung nicht widerstehen und wollten so schnell wie möglich reich werden.
Andere, die nicht so gottesfürchtig waren, verschwanden einfach über Nacht, ohne sich abzumelden. Das Gebiet war riesig und überall konnte man Gold finden: auf Sandbänken, zwischen Felsspalten, oder im ausgegrabenen Flussbett. Auch die Menschen aus Yerba Buena versuchten bald ihr Glück. Väter hatten ihre Familien verlassen, Arbeiter ihre Arbeit, Seeleute ihre Schiffe – sogar Schulen wurden geschlossen, weil Lehrer und Schüler zusammen in die Berge gingen.
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, es tauchten immer mehr Fremde auf und die Zeitungen schürten die Gier mit Schlagzeilen, wie:
Gold, Gold, Gold, wie viel ihr wollt!
Schürfanlagen und Minen wurden hergerichtet. Aus ganz Amerika und sogar aus Europa strömten die Menschen herbei. In den ersten Wochen kamen ungefähr 80 Fremde, im nächsten Monat 800, bis Jahresende einige Tausend, im Jahre 1849 eine Horde von 100.000.
Wir selbst waren nicht gescheit genug, um etwas vom gefundenen Gold zu behalten, alles wurde gleich verjubelt. Das Beste kommt ja noch, dachten wir immer. So lebten wir tagaus tagein in einem Rausch, geblendet von schönsten Zukunftsträumen.
Sutters Dummheit übertraf uns alle
Anfangs genoss er das plötzliche Interesse für seine Siedlung – im Mittelpunkt zu stehen war ja seine Lieblingsrolle. Er liess seine vergessene Schweizer Familie zu sich holen, um das Imperium mit den Söhnen besser verwalten zu können. Er gab wieder kostspielige Feste für seine Freunde und Bewirtung für alle, die es sich gut gehen lassen wollten – Gott ist Zeuge, wie viele Schmarotzer wir wochenlang verpflegen mussten. Er benahm sich wie ein König: Für jede Kleinigkeit bedankte er sich stilvoll mit Goldklümpchen. Mit jenen wohlgemerkt, die ihn noch erreichten – bald stahl aber ein jeder für sich selbst, und Sutters Tasche war letztendlich so leer wie zuvor.
Agenten und Abenteurer aller Art belagerten uns. Sie wollten neue Anlagen bauen, versprachen grosse Gewinne und Sutter glaubte ihnen aufs Wort. Doch sie alle waren Betrüger, die nur in die eigene Tasche wirtschafteten. Sutters Familie konnte die Lage auch nicht mehr retten. Schliesslich kam es zum offenen Bruch: Der älteste Sohn gab den Kampf mit der Gutgläubigkeit seines Vaters auf und verschwand nach Mexiko. Das alles mitzuerleben war bedrückend genug und Frau Sutter – halb taub, erbittert und frühzeitig gealtert – machte uns den Alltag im Fort noch schwieriger.
Das Schlimmste aber war, dass die Wirtschaft langsam zugrunde ging. Sutter musste wohl Höllenqualen erleiden, während er die Verwüstung in seinem Reich beobachtete: Die Ernte wurde gestohlen, der Acker zertrampelt, die Bauarbeiten eingestellt. In der Weberei standen die Webstühle still und die Gerber liessen die unfertigen Felle verderben. Wir hatten wenigstens das Fort als Versorgungsposten für die Goldwäscher eingerichtet und verkauften ihnen Werkzeuge und Proviant. Bald kamen aber Unternehmer neuer Art, die die Bedürfnisse dieses Lumpenpacks besser erkannt hatten: Saloons, Spielhöllen und Bordelle schossen aus dem Boden.
Niemand fragte, wem das Land gehört, denn es gab kein Gesetz mehr. Man baute und schürfte, wo es einem beliebte.
Sutter hatte kaum noch Mitarbeiter, nur einige Indianer und wir, die ›grundehrlichen Schweizer‹ hielten ihm die Treue. Tief enttäuscht von den Menschen zog er sich mit dem Rest seiner Familie und mit uns Schweizern auf eine höher gelegene Farm zurück. Es ist aus mit ihm, dachten wir alle. Er war aber mit seiner Weisheit noch nicht am Ende. Anstelle von Weizen und Biberfellen beschäftigte er sich mit etwas Neuem: Blühende Obstgärten und Rebberge machten aus seinem letzten kalifornischen Wohnsitz ein kleines Paradies.
Fortsetzung folgt: Das Ende von New Helvetia
Kleine Fotodiashow zum Artikel:
Homepages der andern Kolumnisten:
www.leonardwuest.ch www.herberthuber.ch
Link auf den ersten Teil der SUTTER Story von Anna Rybinski:
SUTTER THE SWISS Eine historische Geschichte 1. Teil von Anna Rybinski
Link auf den zweiten Teil der SUTTER Story von Anna Rybinski:
SUTTER THE SWISS Eine historische Geschichte von Anna Rybinski 2. Teil Sutter gründet ein Reich