Inszenierung und Besetzung:
Musikalische Leitung Marek Janowski
Inszenierung Pierre Audi
Bühne Georg Baselitz
Mitarbeit Bühnenbild Christof Hetzer
Kostüme Florence von Gerkan
Mitarbeit Kostüm Tristan Sczesny
Licht Urs Schönebaum
Dramaturgie Klaus Bertisch, Benedikt Stampfli
Chöre und Kinderchor Stellario Fagone
Amfortas Christian Gerhaher
Titurel Bálint Szabó
Gurnemanz Christof Fischesser
Parsifal Simon O’Neill
Klingsor Jochen Schmeckenbecher
Kundry Anja Kampe
Erster Gralsritter Kevin Conners
Zweiter Gralsritter Daniel Noyola
Stimme aus der Höhe Yajie Zhang
Erster Knappe Deanna Breiwick
Zweiter Knappe Yajie Zhang
Dritter Knappe Paul Kaufmann
Vierter Knappe Joel Williams
Klingsors Zaubermädchen Deanna Breiwick, Valeriia Savinskaia, Natalia Kutateladze
Eliza Boom, Aoife Gibney und Yajie Zhang
Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper
Der Autor einer so wirren Geschichte, eines solchen Drehbuches, würde heue entweder geköpft oder heiliggesprochen. Genau das ist ja Richard Wagner eigentlich widerfahren, er polarisierte zu seiner, aber auch bis in die heutige Zeit. Die sogenannten »Wagnerianer» pilgern jeden August zu zehntausenden auf den grünen Hügel in Bayreuth um ihm an den Bayreuther Festspielen zu huldigen. Dort, wo ausschliesslich Werke des, leider, äusserst antisemitischen Musikgenies aufgeführt werden. Der prominenteste dieser Gruppe war nebst König Ludwig II. von Bayern, Adolf Hitler, Marie Gräfin Schleinitz und weitere, damalige und heutige Prominenz.
Der „Grüne Hügel“ bleibt das exklusivste und begehrteste Ereignis, das «Mekka» im wagnerianischen Musikkalender. Der „sinnbetörende Rausch“ der Wagnerschen Musik – vor dem Nietzsche warnte, der Brahms, Adorno und Tschaikowski abschreckte – zieht unverändert seine Anhänger in den Bann. Thomas Mann zuerst beeindruckt von Wagner, änderte später seine Meinung über diesen. Der „Wagnerianer“ huldigt seinem Idol mit ehrfürchtiger, ja fast religiöser Hingabe.
Bei Wagners Einfluss, dem sich viele zu entziehen versuchten, kann zudem nicht von einer kontinuierlichen, gleichförmigen Entwicklung gesprochen werden. Komponisten wie etwa Pjotr Iljitsch Tschaikowski und Antonín Dvořák bewegten sich noch in „traditionellen“ harmonischen Bahnen, während Richard Strauss und Gustav Mahler die Wagnersche Tonsprache übernahmen.
Grundsätzliches zur Vorgeschichte der Handlung
König Titurel, von Gott zum Hüter der Reliquien Gral und Heiliger Speer bestimmt, hatte den Gralstempel errichtet. Der Gral diente als Trinkbecher beim letzten Abendmahl und fing das Blut Christi am Kreuz auf. Mit dem Speer wurde Jesus am Kreuz die Seitenwunde beigebracht. Titurel versammelte Ritter um sich, die, von den Reliquien gestärkt, in die Welt zogen und für das Gute kämpften. Auch Klingsor bemühte sich, der Gralsgemeinschaft anzugehören, wird jedoch wegen seiner Unkeuschheit abgelehnt. Deshalb entmannt er sich selbst, wird nun aber erst recht abgelehnt. Daraufhin schafft er sich in der Wüste ein Gegenreich: einen Zaubergarten mit verführerischen Frauen. Zu diesen Frauen gehört auch Kundry, eine Reinkarnation einer der Frauen, die Jesus auf seinem Kreuzweg verspottet hatten und dafür von diesem verflucht worden war, für immer unerlöst die Welt zu durchstreifen.
Nachdem Klingsor mittels seines Zaubergartens mehrere Ritter verführt und so der Gralsgemeinschaft abspenstig gemacht hat, beschließt Titurels Sohn Amfortas, zugleich dessen Nachfolger als Gralskönig, mit dem heiligen Speer bewaffnet gegen Klingsor in den Kampf zu ziehen. Er unterliegt jedoch Kundrys Verführungskünsten und verliert so den Speer an Klingsor, der ihm mit dem (vergifteten) Speer eine Wunde schlägt, an welcher er seitdem entsetzlich leidet. Denn die Wunde schließt sich nicht mehr: Mit jeder neuen Enthüllung des Grals, wodurch die gesamte Ritterschaft genährt wird, bricht sie von neuem auf. Eine Prophezeiung verspricht Amfortas, dass ein durch Mitleid wissender reiner Tor ihn einst von seinen Qualen erlösen wird. Kundry, die ihre Taten in Klingsors Dienst bereut, stellt sich in den Dienst der Gralsritter, um für ihre Schuld zu büßen.
Zur Aufführung
Das Bühnenbild von Baselitz ist wagnerisch düster, gar bedrohlich gehalten. Regisseur Pierre Audi lässt die Akteur*innen leider etwas statisch agieren, stehen sie doch meist fast regungslos nebeneinander auf der Bühne
Man soll doch einfach die Augen schließen, dann wäre das alles viel erträglicher, konnte man in einer Kritik lesen. Und so plump und provokativ das auch verfasst sein mag, steckt da ein wahrer Kern drin. Die Kostüme sind nämlich leider eine Vollkatastrophe. Parsifal bekommt ein billiges Papp-Gedeck umgehängt und gleicht später im dritten Akt als verkleideter Ritter dem Amazon-Maskottchen. Jochen Schmeckenbecher als Klingsor könnte wohl genauso nach einer wilden Faschingsnacht aus einer Partylocation kommen, so wie er ausgestattet wurde – mit furchteinflößender Wut und einem adäquaten Gegenspieler hat das nichts zu tun. Das verhunzteste Kostüm bekommt sogleich der, der die größte schauspielerische Leistung vollzieht: Gerhaher als Amfortas. Sein Mantel gleicht einer Bettdecke, die Wunde ist schlichtweg ein blutiger Fleck. Er taucht als blutig versehrter Amfortas im Hosenträger-Look auf. Er geht an der Krücke, über seinen Schultern liegt ein undefinierbares Etwas zwischen Eskimomantel und Heizdecke. Gerhahers Interpretation konzentriert sich auf penible Textdeutung. Man muss sich reinhören. Affekte (Zorn: Ohn‘ Urlaub, Verzweiflung: Oh, Strafe! Strafe ohne Gleichen) haben bei Gerhaher einen feminin weichen Touch. In manchen leisen Passagen ist das Sprechen nah und das Singen fern. Gewöhungsbedürftig ist auch der vibratolose Beginn so mancher Phrase. Kurzum, Gerhaher singt einen reflektierten, affektierten, einen larmoyanten Amfortas. Gerhahers Interpretation ist Geschmackssache. Im dritten Akt streift die Grals-Verzweiflung des Amfortas gar die Parodie. Dessen ungeachtet bietet Gerhahers Amfortas Nuancen der Textdeutung, von denen andere Amfortas-Sänger nicht einmal zu träumen wagen dürften. Darum ist seine Rollenaneignung zwar unorthodox, doch richtig und hochinteressant.
Die musikalische Seite ist so außergewöhnlich schön, dass man – heilig hehrstes Wunder – eben doch den ganzen Abend über gefesselt ist. Janowski trägt die Sänger auf Händen. Keiner muss auch nur eine Sekunde forcieren. Kein Wagner-Gebrüll, nirgends. Stattdessen Pianissimo-Zauberei, Höhepunkte mit Gänsehautwirkung, wunderbar schnelle, flüssige Tempi und traumverlorene Momente. Anja Kampe als Kundry schießt Spitzentöne wie Leuchtraketen in den Bühnenhimmel, Christof Fischesser gibt dem Gurnemanz unanfechtbare Bassautorität und Simon O’Neill lässt den Parsifal mit seinem timbrierten Tenor eindrucksvoll reifen. Überragend ist Christian Gerhaher – in einer Partie, von der viele dachten, dass sie nicht zu ihm passt. Psychologisch so aufregend hört man den Amfortas selten. Das kann fahl und bösartig klingen, zerfließend in Selbstmitleid und im nächsten Moment tief verzweifelt.
Bühnenbild. Vom hochgelobten Georg Baselitz erwartet man mehr
Dem abstrakten schwarz-grauen Wald mit Tierskelett im ersten Akt möchte man durchaus eine endzeitliche Poesie bescheinigen. Die Bilder sind schlichtweg zu einfach, sei es nun das mit wenigen Strichen angedeutete Mauerwerk auf einem faltbaren Prospekt, das Klingsors Burg andeuten soll, oder der Zwischenvorhang mit auf dem Kopf stehenden Engeln. Da fällt es auch nicht mehr ins Gewicht, dass der schwarze Wald bei Parsifals Wiederkehr im letzten Akt auf dem Kopf steht.
Blosse Staffage und ein berühmter Name reichen nicht aus
Im ersten Akt stehen die Darsteller unentschlossen zwischen entlaubten Baselitz-Bäumen herum – wer möchte, kann dabei an eine Öko-Apokalypse denken. Der zweite Akt spielt vor einer schwarzweißen, flachen Baselitz-Burg, vor der sich nackte Albtraum-Blumenmädchen in fetten rosa Pappmaché-Kostümen aufstellen. Im dritten Akt stehen die Baselitz-Bäume, wie sich das für Baselitz eigentlich gehört, auf dem Kopf. Dazwischen stehen die Sänger*innen bloss herum. Allein gelassen von der Regie, die nur formelhafte und ausdrucksarme Bewegungen zulässt, gelingt es kaum einem Darsteller, seiner Rolle Profil zu geben. Nur Christian Gerhaher als Amfortas darf am Krückstock theatralisch leidend über die Bühne wanken.
Sänger stehen fast regungslos in den Kulissen
Nun ist grundlegend nichts Falsches daran, wenn jemand vor den Urhebern eines Werkes großen Respekt hat. Malerfürst Baselitz hat im Vorfeld keinen Hehl daraus gemacht, dass er dem Regietheater, das schon Werke zur Unkenntlichkeit entstellte, sehr kritisch gegenübersteht. Aber das steht in keinem Widerspruch zu dem Anspruch an eine lebendige Personenregie, der hier mitnichten eingelöst wird. Der scheidende Amsterdamer Intendant Audi lässt die Sänger sträflich alleine, arrangiert sie mehr oder weniger nur als Staffage in den Kulissen. Dies leider auch zum ritterlichen Abendmahl. Ein Scheiterhaufen aus wenigen Stämmen scheint den Gral zu bergen. Amfortas streckt einen Arm mit einem blutigen Klumpen bedeutungsvoll nach oben, dazu entkleiden sich die Ritter. Warum, das erklärt die Inszenierung nicht.
Nackte Blumenmädchen, nackte Gralsritter
Gewiss, im „Parsifal“ geht es um Vieles: Mitleid, Macht, Erotik, Religion, Erlösung und auch um Reinheit. Aber dass die Ritter just zur heiligen Zeremonie zu Nackten werden, erscheint dann doch bei allen denkbaren Reinheitsritualen weit hergeholt. Hinzu kommt, dass sie sich – wie auch später die Blumenmädchen – extrem hässlich in fleischfarbenen Trikots präsentieren müssen, mit dicken Bäuchen, Hängebrüsten, schlaffem Gesäß und rosa Scham (Kostüme: Florence von Gerkan). Figuren wie aus einem Horrorfilm.
Überragende Stimmen
Anja Kampe «Kundry»: Ihre gefährlichen Schreie meisterte sie mit ebenso großer Wucht wie ihre große Szene „Ich sah das Kind an seiner Mutter Brust“. Wie Leuchtraketen feuerte sie da ihre Spitzentöne ab, nur gelegentlich durchsetzt von einigen Schärfen. Auch in den mittleren und tiefen Registern besitzt dieser Sopran eine Fülle und Substanz, von der andere heute offenbar nur noch träumen können. Anja Kampe vermag das ungeheuer toll zu präsentieren, sowohl stimmlich, als auch darstellerisch: die Ambivalenz, gar diese Schizophrenie dieser Rolle.“ Sie war zweifellos mit der sängerische Höhepunkt dieses Abends.
Großes Lob auch für Marek Janowski am Dirigentenpult, allerdings wurde er manchmal doch „sehr laut“, besonders an Ende der Ersten und am Anfang des dritten Aufzugs. „Man hört wirklich jede einzelne Orchesterstimme in diesem sehr offenen und sehr hoch gefahrenen Orchestergraben. Das ist schon sehr speziell, fast «bayreuthisch».
Und dann ist da noch Christian Gerhaher, der sich als Amfortas theatralisch leidend an einer Krücke über die Bühne schleppt und damit die öde Szene als Einziger für wenige Momente belebt. Seine musikalische Gestaltung überzeugt , auch weil sein etwas überpointierter Sprechgesang mit seiner Darstellung harmoniert.
Christoph Fischesser singt einen lyrischen Gurnemanz. Die Stimme ist weich, edel timbriert, wenig metallisch, er singt rhetorisch sorgfältig, durchsetzt den von Erinnerungen geprägten Monolog des ersten Aufzugs mit ariosen Aufschwüngen. Das Stimmmaterial ist immer noch superb. Schön das Legato, das er zwischen energischer Deklamation einerseits und einem dem Sprechen angenäherten Parlando andererseits entfaltet. Der Vortrag ist lebendig und biegsam, wird vollkommen aus dem Bühnenmoment heraus gesungen. Nichts ist da nur abgesungen. Männlich-energische Akzente gliedern die Phrasen (des Grales Wunderkräfte stärken). Bombensicher auch bei «Da Titurel, in hohen Alters Mühen».
Das Auditorium belohne die, trotz allen Unzulänglichkeiten betr. Bühnenausstattung und Spielleitung, überzeugenden, überragenden Leistungen der Protagonist*innen mit einer langanhaltenden, stehenden Ovation.
Noch ein Detail, aber ein wichtiges, am Rande. Auch die Gastronomie im Hause trug das ihrige für einen äusserst angeregten Abend bei. Bei unserem Erscheinen im Restaurant «Ludwig zwei» in der ersten, vierzigminütigen, Pause, standen die im Voraus bestellten Speisen und Getränke bereits auf dem Tisch, sodass man, trotz der kurzen Zeit, die Musse hatte, auch hier zu geniessen und nicht hinunterzuschlingen. Also, alles in allem, ein doch beeindruckendes «Gesamtpaket» Staatsoper München im Nationaltheater.
Text: www.leonardwuest.ch Fotos: www.staatsoper.de
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