Besetzung:
Dirigent | Christian Thielemann |
Regie | Vincent Huguet |
Bühne | Aurélie Maestre |
Kostüme | Clémence Pernoud |
Licht und Video | Bertrand Couderc |
Dramaturgie | Louis Geisler |
Der Kaiser | Andreas Schager |
Die Kaiserin | Camilla Nylund |
Die Amme | Mihoko Fujimura |
Geisterbote | Clemens Unterreiner |
Barak | Tomasz Konieczny |
Sein Weib | Nina Stemme |
Hüter der Schwelle des Tempels | Daniela Fally |
Stimme eine Jünglings | Jörg Schneider |
Stimme des Falken | Maria Nazarova |
Stimme von oben | Monika Bohinec |
Der Einäugige | Rafael Fingerlos |
Der Einarmige | Marcus Pelz |
Der Bucklige | Michael Laurenz |
1. Stimme der Ungeborenen | Ileana Tonca |
2. Stimme der Ungeborenen | Mariam Battistelli |
3. Stimme der Ungeborenen | Stephanie Houtzeel |
4. Stimme der Ungeborenen | Szilvia Vörös |
5. Stimme der Ungeborenen | Bongiwe Nakani |
1. Solostimme | Ileana Tonca |
2. Solostimme | Mariam Battistelli |
3. Solostimme | Stephanie Houtzeel |
4. Solostimme | Szilvia Vörös |
5. Solostimme | Bongiwe Nakani |
6. Solostimme | Zoryana Kushpler |
Rezension:
Nachdem ich fünf Tage zuvor mit Bejamin Brittens „A midsummer nights dream“ meine Feuertaufe an einem der weltberühmtesten Opernhäuser der Welt erlebt hatte, begab ich mich deutlich entspannter zum Haus am Ring, obwohl „meine“ Strassenbahn, aufgrund der „Fridays for future“ Demos nicht fahren konnte und ich mir kurzfristig einen andern Anfahrtsweg suchen musste, was sich dann aber als nicht allzu kompliziert erwies, führte doch auch eine U Bahnlinie von meinem Ausgangspunkt Schwedenplatz zum Karlsplatz.
Auch die alte Wiener Dame am Ring ist technisch à jour
Ich war trotzdem genug früh vor Ort, sodass auch noch für einen Imbiss im Opern Café genügend Zeit verblieb bis zum Beginn von Richard Strauss` schattenloser Frau, die in ersten Kritiken gefeiert und von einer mir bekannten Wiener Kulturjournalistin hochgelobt wurde. Auch dieses traditionsreiche Haus verschliesst sich neuesten Techniken nicht und so konnte man sich mittels eines kleinen Bildschirms an seinem Platz über die Staatsoper per se und die Aufführung im Detail informieren und während der Aufführung auch die Texte der Arien und Dialoge genauer ansehen.
Relativ zurückhaltende Regie und eher unspektakuläres Bühnenbild
Vor einer Art Voliere, hinter deren Behang die Kaiserin verborgen ist, trifft sich die Amme mit dem Geisterboten (resolut gesungen von Clemens Unterreiner). Im Hintergrund ist ein mächtiges, dunkles Gemäuer zu sehen, das sich später als eine Wand aus grauen Styroporfelsen entpuppt. Kombiniert mit den wallenden Umhängen, die alle Protagonistinnen und Choristinnen tragen (Kostüme: Clémence Pernoud), erweckt das Bühnenbild von Aurélie Maestre den Eindruck, als wohne man der Aufführung einer Antikentragödie um 1960 bei. Die statischen Arrangements von Vincent Huguet, der weder Chöre bewegt noch die Darsteller die große Bühne mit Leben füllen lässt, verstärken dies noch. Und seine Idee zum Stück erschöpft sich darin, zu zeigen, dass die Kaiserin wohl etwas mehr als bloß Mitleid mit dem von der Färberin attackierten Barak empfindet, so sind Huguets konzeptlose Arrangements einfach zu wenig für eine wirklich festliche Aufführung.
Das Gute daran: das Regiekonzept von Vincent Huguet überlässt der Musik ungehindert das Feld, interpretiert nicht und behält die schauermärchenhafte Welt dieser vierten Zusammenarbeit von Strauss und Hofmannsthal bei. Christian Thielemann verwendet die Schalk’sche Originalpartitur, verzichtet auf Striche und führt das großartige Staatsopernorchester und das formidable Sängerensemble meisterhaft hin zu grandiosen Spitzenleistungen, auch wenn er es, für meinen Geschmack, einmal mehr, mit der Lautstärke etwas übertrieb.
Besetzung und das Staatsopernorchester brillieren
Camilla Nylund ist eine wahrlich anmutige Kaiserin, die durch Verzicht schließlich alle erlöst. Sie meistert die Herausforderungen ihrer Rolle mit bravouröser Ausdauer, silbrig blühender Stimmkraft und phänomenaler Aura. Nina Stemme als Färberin ist eine Klasse für sich: ausdrucksstark, wortdeutlich und ungeheuer präsent. Die Szenen zwischen ihr und ihrem Mann Barak (erstmals Tomasz Konieczny mit seinem außergewöhnlichen, metallischen Timbre) gehen zu Herzen.
Mihoko Fujimura als Amme agiert mit stolzer Entschlossenheit, setzt mehr auf milde Kühle denn auf aufwieglerische Glut aber als Figur bleibt sie etwas eindimensional und verbreitet kaum dämonische Aura. Auf Andreas Schager als stattlichem Kaiser ist Verlass. Musikdramatik pur!
Unterschiedliche Diven im Jubiläumsjahr
Der Wiener Staatsoper erging es im Mai ähnlich wie dem US-amerikanischen Gesamtkunstwerk „Cher“: Teile von ihr feiern Geburtstag. Im Falle der Wiener Institution ist es heuer der hundertfünfzigste. Doch wichtiger als der makellos renovierte Gebäudekörper des Hauses am Ring sind seine inneren Werte. „O Welt in der Welt!“ ruft die Färberin in der Frau ohne Schatten aus, als ihr die Amme für kurze Zeit ein luxuriöses Eigenheim vorgaukelt. (Zitat Stefan Ender) Ein halbes Hundert an verschiedenen Bühnenwelten zaubert man dem Publikum an der Wiener Staatsoper in jeder Spielzeit in den Abendstunden vor. Bezüglich der Jubiläums-Premiere – entschied man sich daher logischerweise für eine Märchenoper mit der Frau ohne Schatten von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal. Diese Oper feiert wiederum selbst einen runden Geburtstag: Im Oktober 1919 wurde sie zu Beginn von Strauss‘ Direktionszeit an der Wiener Staatsoper uraufgeführt.
Besetzung: das Nonplusultra
Wen bittet denn der aktuelle Hausherr Dominique Meyer für eine so prestige- und geschichtsträchtige Unternehmung ans Dirigentenpult? Natur- bzw. kunstgemäß Christian Thielemann, den Mann für alle deutsch-romantischen Fälle. Und der gebürtige Berliner brachte zwei Frauen mit, die für diese Oper nah dran sind am besetzungstechnischen Nonplusultra: Nina Stemme und Camilla Nylund.
Xanthippenhaft
Nina Stemmes Sopran ist dichter, markanter als der von Mihoko Fujimura (liegt deren Stärke doch eher im Mezzobereich) und im Fortissimo von stählerner Tragfähigkeit. Stemme schafft mit der Färberin, Strauss‘ Hommage an seine Gattin Pauline, die berührendste und auch die menschlichste Figur des Triummulierats. Überraschenderweise bleibt nicht die im Libretto dominierende xanthippenhafte Seite ihres Wesens haften, sondern ihre Verzweiflung und ihr Leid. Eine Idealbesetzung für die Kaiserin ist Camilla Nylund. Ihre hohen Töne sind glasklar und fadengrad. Wundervoll nicht nur die Souveränität, mit der die Finnin ihre Partie durchmisst, auch die Schlichtheit bei der Prüfungsszene berührt.
Dreifaltigkeit
Die Männer fallen gegenüber dieser Dreifaltigkeit weiblichen Idealgesangs leicht ab: Andreas Schager singt als Kaiser viele durchsetzungsstarke, wohlklingende Töne, gestaltet aber manche Phrasenenden wie nebenbei. Wenn er höher und lauter singt, wirkt es, als hätte ihn jemand dazu zu fest getreten. Für Wolfgang Kochs Färber wünscht man sich Selbiges: Sein Barak fällt, auf hohem Niveau, etwas ab, erinnert körpersprachlich eher an einen Weinconnaisseur, als an einen gutherzigen Arbeitsesel. Exzellent die mittleren und kleinen Partien, herausragend der Staatsopernchor, sowohl die engelsgleichen Frauen als auch die heldenstarken Männer.
DetailfuchsThielemann
Zu einer der berührendsten Szenen, musikalisch wie auch szenisch, wird die Annäherung, die Regisseur Vincent Huguet dem Färberpaar im 1. Akt gönnt. Der scheue Kuss, die kurze Innigkeit, und dazu die zärtlichen Klänge des Orchesters: wundervoll. In Summe agiert Thielemann aber zu detailfuchsig und kontrollfixiert, als dass man als Hörer vollkommen berauscht aus der Vorstellung hätte herausstolpern können. Und das will bei dieser Besetzung etwas heißen.
Vincent Huguet ist, trotz allen Schwächen, insgesamt eine stimmungsvolle, eingeschränkt abwechslungsreiche Einrichtung der Märchenoper gelungen. Selbst Laien verstehen die Handlung, und es gibt kein Einheitsbühnenbild: Das ist doch schon mal was. Dass der Franzose im 2. Akt mit den dazu gedichteten toten Soldaten mutmaßlich an die Entstehungszeit der Oper erinnern und einen Schuss Realismus in Hofmannsthals Märchenspiel bringen wollte, wirkt fremdkörperartig und zu gesucht. Die Bühne von Aurélie Maestre zeigt meist einen vielseitig bespielten Steinbruch, die Kostüme von Clémence Pernoud sind in einem einigermaßen geschmackvollen indifferent zeitlos angesiedelt.
Beifall und vereinzelte Bravorufe
Nach viereinhalb Stunden hat das Märchen ein Ende. Die Kaiserin hat gelernt, dass Menschsein bedeutet, sich zu plagen und zu stinken: Aber sie will trotzdem dazugehören. Die beiden aufsässigen Frauen haben sich in die patriarchale Ordnung gefügt: Die Färberin wird von der Keifzange zur devoten Dienerin ihres Gatten, die Kaiserin hat die Prüfungen ihres Vaters, des Geisterkönigs Keikobad, tipptopp absolviert. Zur Belohnung dürfen die beiden endlich zueinander finden.
Musikalisch im Rang des Außergewöhnlichen, szenisch einfach gestrickt, austauschbar: Auf diesen Nenner lässt sich die „Frau ohne Schatten von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal bringen. Ein Ereignis: Dirigent Christian Thielemann und das philharmonisch aufspielende, sensationelle Orchester der Wiener Staatsoper. Wie Klangmagier Thielemann bei diesem komplexen Werk alle Register seine Könnens zieht, welch herrliche Klangfarben, welch fantastische Nuancen, welch dramatische Ausbrüche hier hörbar werden, sucht seinesgleichen. Ein verdienter beifallssturm für Dirigent und Orchester war die logische Folge.
Ebenso verdient, wie die Jubelstürme für die meisten Sänger. So ist Camilla Nylund eine Kaiserin von Weltformat, sie singt diese Partie mit traumhafter Sicherheit, höchster Intensität und atemberaubender vokaler Klarheit. Wie auch Nina Stemme eine Färberin der Extraklasse ist. Die Sopranistin bewältigt diese unfassbar anspruchsvolle Partie mit einer selten gehörten, packenden Souveränität. Als Amme hat es Mihoko Fujimura da stimmlich schon etwas schwerer, sie meistert die Rolle aber mehr als achtbar. Tenor Andreas Schager gibt einen fabelhaften Kaiser mit fast allen geforderten Höhen, Tomasz Konieczny glänzt als überaus lyrischer Barak, Clemens Unterreiner ist ein sehr markanter Geisterbote.
Zwar zündet das orchestrale Giftgemisch nicht von Anbeginn, doch Thielemann, der alte Alchemist und Hexenmeister, weiß ganz genau, welche Hebel und Kräuter er in Bewegung setzen muss. Wenn der deutsche Klangzauberer, der in Salzburg, und, nach seinem Disput mit Andris Nelsons im Sommer 2016, teilweise auch in Bayreuth in Ungnade gefallen ist, sich aus seinem Arsenal an schier unermesslicher Energie und Geheimrezepturen bedient, verwandeln sich die Wiener Philharmoniker in einen Organismus, der gemeinsam atmet und das Prädikat weltbestes Opernorchester einmal mehr verdient.
Kleine Fotodiashow der Produktion von Michael Pöhn, Wiener Staatsoper GmbH:
Text : www.leonardwuest.ch Fotos:https://www.wiener-staatsoper.at/
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