Minimal- und Avant-Garde-Komponist und Musiker Yann Tiersen performt im KKL Luzern, als einziger Station in der Schweiz.
Rezension:
Soeben erschien der neue Tonträger des französischen Minimal- und Avant-Garde-Komponisten und Musikers Yann Tiersen, gerade rechtzeitig zur grossen Tournee, die ihn im Moment durch die ganze Welt führt. mit Luzern als einziger Schweizer Destination. So war es denn erstaunlich, dass der Konzertsaal des KKL Luzern nicht proppenvoll war, obwohl viele Leute, wie man hören konnte, aus dem französischen Sprachraum, also der Romandie, dem auch nicht so fernen Elsass, oder dem Burgund angereist waren.
Mix aus verschiedenen Musikgenres schafft neue Klangwelten
Tiersens Musikstil verbindet französische Folkmusik Chanson und Musette mit Elementen aus der Rock- und Popmusik. Die Verwendung sich wiederholender, dabei leicht variierter Sequenzen rückt ihn in die Nähe der Minimal Music. Die Musik Tiersens wird häufig mit den Werken der Musiker Pascal Comelade Philip Glass, Michael Nyman und Eric Satie assoziiert. Aufgrund seiner Zusammenarbeit mit anderen französischen Musikern gilt Tiersen als wichtige Person innerhalb der neuen, oft mit dem Etikett Nouvelle Chanson belegten Chanson Szene Frankreichs. Für die verstärkte Wahrnehmung französischer Popmusik in Deutschland und der Deutschschweiz sorgte unter anderem der Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“, dessen Filmmusik Tiersen komponiert hat, wie auch den Soundtrack zu „Good Bye Lenin“. Der Multiinstrumentalist, der u.a. folgende Instrumente perfekt beherrscht: Klavier, Akkordeon, Mandoline, Bass, Gitarre, Banjo, Melodica, Vibraphon und diverse Schlaginstrumente, spielt seine Alben meist allein im Studio ein. Seine Musiktitel sind zum grössten Teil Instrumentalstücke, auf einigen singen jedoch auch Gastmusiker oder er selbst. In gewisser Weise erinnern seine Soundmixes an den jungen Jean – Michel Jarre.
Tiersen serviert einen Non Stopp zweistündigen psychedelischen Soundteppich, abgehoben intellektuell. Als Basis zu Beginn die experimentellen Hintergrundgeräusche ab Tonband u.a. Möwengekreische, Wal- bzw. Delphingesänge, Vogelgezwitscher usw. Dazu mehr oder weniger entsprechende Projektionen auf einer grossen Leinwand und, wie z.B. Meereswellen, Meeresbrandung an Felsenküste mit der entsprechenden Gischt, verlorene Inseln im Ozean, Felslandschaften etc., die dazu gespielten, sehr repetitiven, Läufe auf dem Klavier bald einmal eintönig. Dazwischen intonierte er das Klangwirrwarr auch mal auf dem Xylophon und dem Elektropiano, wozu er jeweils behende die Bühnenseite wechselte, im Dunkeln auf dem Set hin und her huschte. Fast unbemerkt, hatten sich inzwischen auch seine drei Mitmusiker, eine davon weiblich, dazu gesellt. Alle vier waren einfach gekleidet mit einer schwarzen Hose und einem ebensolchen T Shirt.
Gefällige Dahinplätscherpianomusik
Er spielt gefällig mit der Mystik, baut eine Spannung auf, die, so meinst Du, irgendwann eskalieren muss, was sie aber nicht tut. Er hält Dich zum Narren spannt den Flow noch eine Schleife weiter auf, landet schlussendlich in der Entspannung, ohne geplatzt zu sein. Alle Lieder sind sich sehr ähnlich, haben denselben Aufbau. Seine schnellen Ausritte an der Geige chaotisch und das E Piano meist auf eine Art Spinett/Cembalo eingestellt, wenig abwechslungsreich, manchmal gar etwas einschläfernd. Ich war zeitweise wie eingelullt. Die Entschleunigung wurde aufgebrochen, als Yann sich die Geige geschnappt hat. Der Kerl kann ja so ziemlich jedes Instrument spielen und so hat er auf diesen kleinen Klimperkisten und der Melodica „Amélie“ gespielt.
Das war in etwa die einzige Melodie mit Wiedererkennungseffekt, während der Rest eine ununterbrochene Abfolge von Tonfolgen war. Psychedelisch, mit den verschiedensten Synthesizer – Klangvariationen eines Mitmusikers, während sich ein anderer einer Art Röhrenglocken bediente und auch zwischenzeitlich auch mal den Gong schlug, während eine Musikerin eine Art Sprechgesang zum Besten gab und dazwischen auch mal richtig sang, meist in englisch.
Die Grenze zum Kitsch ist manchmal nicht weit entfernt.
Die Musik von Yann Tiersen schrammte ja schon oft am emotionalen Kitsch vorbei, nun überschreitet er die Grenze mehrfach. Sehr freundlich ausgedrückt könnte etliche der Songs als schön und schwelgerisch bezeichnen, aber bisweilen ist es einfach zu viel des Guten. Es hilft zu wissen, dass sich der französische Multiinstrumentalist als ein sehr naturverbundener Mensch versteht. Was schon dadurch deutlich wird, dass er nicht nur auf der bretonischen Insel Quessant (je nach Sprache auch „Ushant“oder „Enez Eusa“ genannt) lebt, sondern dort auch wirklich angekommen ist.
Thiersen machte seine Inselträume wahr
Sein letztes, dort thematisch verortetes Studioalbum EUSA kann deshalb als Liebeserklärung an das kleine Eiland verstanden werden, Sein Album ALL entstand sogar an seinem Wohnsitz. „The „Eskal“ heißt Tiersens neues Studio, zusammen mit einem Gemeindezentrum samt Venue in einer verlassenen Diskothek errichtet. Zudem werden die elf Lieder überwiegend in der bretonischen (einer keltischen) Sprache gesungen, inhaltlich aber verlassen sie und die wieder vielen eingewobenen Field Recordings Quessant. Gleich das Eröffnungsstück mit seinem sanften Klavierspiel, dem Vogelgezwitscher und spielenden Kindern führt nach „Tempelhof“, „Usal Road“ nach Kalifornien, wo Yann Tiersen vor einigen Jahren die Bekanntschaft mit einem Berglöwen machte, als er sein Violinenspiel „Open Air“ aufnehmen wollte. Auf „Koad“ („Wood“) geht die Reise zusammen mit Anna von Hausswolff nach England in die südwestliche Grafschaft Devon, wo beeindruckende Mammutbaum-Wälder stehen. Dies alles interessierte die anwesende, offensichtlich richtig „angefressene“ Fangemeinde wenig, applaudierten sie denn oft und herzlich, wann immer die Musiker eine der äußerst raren kleinen Pausen einlegten. So war es denn nicht erstaunlich, dass die Protagonisten zu vier Zugaben applaudiert wurden. Dieses „Supplement“ war es denn auch, was den Abend rettete, kehrte Thiersen dort doch zu dem zurück, wofür ihn seine Fans verehren. Experimentieren ohne abzuheben, Neues kreieren mit Fantasie und Virtuosität, Wohlfühlatmosphäre schaffen, ohne sich in Zuckerwatte eingebettet zu fühlen. Back tot he roots, reduce tot he max. Das Auditorium verdankte dies schlussendlich doch noch mit einer stehenden Ovation.
Text: Léonard Wüst www.leonardwuest.ch
Fotos: Ruedy Hollenwäger und
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