Zürcher Kammerorchester, Saisonabschluss mit Stéphane Réty, Naoki Kitaya und Daniel Hope, 23. Juni 2020, besucht von Léonard Wüst

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Daniel Hope und das Zürcher Kammerorchester Foto Sandro Diener

Programm und Besetzung:

Edward Elgar Serenade für Streichorchester e-Moll op. 20
Johann Sebastian Bach Brandenburgisches Konzert Nr. 5 D-Dur BWV 1050
Antonio Vivaldi Der Sommer, aus: Vier Jahreszeiten op. 8 RV 315
Piotr Iljitsch Tschaikowsky 1. Satz aus Serenade für Streichorchester in C-Dur op. 48

Stéphane Réty (Flöte)
Naoki Kitaya (Cembalo)
Daniel Hope (Music Director)
Zürcher Kammerorchester

Rezension:

Konzertsaal Tonhalle Maag Zürich Foto Hannes Henz

Nach einem genussvollen Abendessen in äusserst angenehmer Begleitung in einem nahegelegenen Restaurant dislozierten wir gutgelaunt zur Tonhalle Maag, vor und in der nicht das sonst übliche Gedränge herrschte. Dank den Lockerungen im Corona Modus reichte es immerhin noch für das Saisonabschlusskonzert des Zürcher Kammerorchesters, Abschluss einer Saison, die eigentlich gar nicht stattgefunden hatte. Aufgrund der Beschränkung auf nur 300 Personen, inkl. Orchester, Platzanweiser*innen usw., die sich im Saal aufhalten durften, entschlossen sich die Verantwortlichen, das Konzert, in leicht gekürzter Form und ohne Pause, gleich zweimal nacheinander am gleichen Abend zu spielen. Somit kamen immerhin ca. 460 Personen in Genuss des Ohrenschmauses. Ein ungewohnter Anblick, die lichten Reihen in der Tonhalle Maag, die sonst bei Konzerten des ZKO meist prall gefüllt ist. Zur Corona Prävention wurden sogar Gesichtsmasken kostenlos an die Besucher abgegeben, aber nur von den wenigsten getragen. Es wurde ein unbeschwerter Konzertgenuss in eine neue Konzert Ära mit ungewohnter Ellbogenfreiheit. Das Klangerlebnis auch ungewohnt, viel weniger dumpf, mehr hallend, da weniger Zuhörer, auch weniger  Schall schluckende Textilien (Kleider) im Saal waren. Das Programm wirkte etwas Liturgie lastig mit Werken von Elgar und Bach, beide streng gläubig und Vivaldi, der in jungen Jahren gar zum katholischen Priester geweiht wurde.

Edward Elgar – Serenade E minor, op. 20

Der Kopfsatz (Allegro piacevole) kann Elgars pastoralen Neigungen nicht verhehlen, der langsame Satz (Larghetto) trägt elegische Züge, das Finale (Allegretto) sorgt für einen heiteren Ausklang. Dass kurz vor Schluss der erste Satz noch einmal anklingt, hat Elgar der Serenade Opus 22 von Dvorak abgelauscht, unter dem er sogar eine zeitlang als Orchestermusiker tätig war. Das ca. 13minütige Werk, äusserst gefühlvoll und fast zurückhaltend interpretiert vom Orchester erwies sich als sehr passender Einstieg in den Re Start ins Konzertleben des ZKO  und wurde vom Publikum mit dem entsprechenden Applaus gewürdigt.

J.S. Bach Brandenburgischen Konzert Nr. 5 D Dur

Naoki Kitaya Cembalo Foto Sandro Diener

Das Konzert für Solocembalo, Flöte, Violine und Streichorchester gehört zu den frühesten Beispielen eines solistischen Tasteninstruments mit Orchester. Innerhalb der aus Italien stammenden Konzertform spielt die sehr modern wirkende, ganz die Außenstimmen betonende Satzweise mit ihren ständigen Triolen deutlich auf den französischen Geschmack an. Auch die Verwendung der gerade aufkommenden Traversflöte weist in diese Richtung. Alle drei Sätze führen nach einiger Zeit eine durch Seufzer Motive geprägte Melodik ein, die ebenfalls auf Modelle französischer Komponisten verweist. So kann dieses Konzert als ein Beispiel für das Bestreben deutscher Komponisten des Hochbarock gelten, die Nationalstile Italiens und Frankreichs miteinander zu verbinden. Die Instrumente werden über weite Strecken recht gleichwertig eingesetzt; in der zweiten Hälfte des ersten und dritten Satzes treten dann aber zunehmend virtuose Partien für das Cembalo auf, die die anderen Instrumente stellenweise etwas in den Hintergrund drängen und im ersten Satz in ein umfangreiches Solo münden. Wegen der hier dominierenden Rolle des Cembalos wird das Konzert manchmal als das erste Cembalokonzert der Musikgeschichte gesehen. Nach dem Tutti-Ritornell führen sich die Solisten mit einem eigenen Thema ein und entwickelt aus diesem kontrastierenden Thema schnell eine durch Seufzer Motive geprägte Melodik. Umfangreiche Solopassagen werden strukturiert durch häufige Orchestereinsätze, Couplets, mit dem Ritornell Beginn.

Stéphane Réty Flöte Foto Sandro Diener

Nach einem kurzen Intro der Streicher bringt sich zuerst der gebürtige Franzose Stéphane Réty, Soloflötist des Zürcher Kammerorchesters und des Sinfonieorchesters Basel, ins Spiel, kurz darauf gefolgt von Naoki Kitaya am Cembalo. Der in Tokio geborene Solist war u.a. Schüler von Nikolaus Harnoncourt. Im dritten Satz übernimmt dann auch die erste Geige (Daniel Hope) eine immer gewichtigere Rolle und etabliert sich, nebst Flöte und Cembalo, als dritte Solostimme, immer eingebettet im Klangteppich des äusserst souveränen Orchesters.

Fugenartiger Schlusssatz

Der Schlusssatz beginnt wie eine Fuge – zunächst in den Soloinstrumenten, schließlich auch im Orchester –, doch wird die thematische Arbeit schnell aufgegeben. Dieser Satz ist deutlich dreiteilig, mit identischen Außenteilen und einem kontrastierenden Mittelteil doppelter Länge in der parallelen Molltonart. Auch dieser mittlere Satzabschnitt führt gleich zu Beginn ein ganz neues Thema ein, das durch seinen großen Bogen und gesanglichen Charakter einen deutlichen Gegensatz zum Bisherigen bildet und von Bach ausdrücklich als cantabile bezeichnet wurde. Nachdem jedes Soloinstrument es einmal gespielt hat, wird es auch von den Oberstimmen des Orchesters übernommen; die Grenzen zwischen Soloinstrument und Orchesterinstrument verschwimmen hier stellenweise in einem dichten Geflecht. Etwa ab der Mitte des Satzes wird dann das Cembalo wieder deutlich als Solist herausgestellt, dem Flöte und Violine einerseits und Orchesteroberstimmen andererseits als geschlossene Gruppen entgegentreten. Der Abschnitt endet in h-Moll, dann beginnt der Satz überleitungslos wieder von vorne, also mit der wörtlichen Wiederholung des ersten Abschnitts. Die drei Solisten agierten auf höchstem Niveau, das Orchester bot ihnen den soliden, anspruchsvollen  Klangteppich, auf dem sie sich in Szene setzen konnten.

Antonio Vivaldi – Vier Jahreszeiten – Der Sommer

Daniel Hope (Music Director)

Das ist auch ein persönliches Statement des Geigers und Music Directors des Kammerorchesters: Kaum ein anderer Komponist hat ihn in seiner Karriere so sehr begleitet wie Vivaldi, dessen Ideenreichtum, dessen Mut und rhythmisches Genie Daniel Hope über alles verehrt. Das geeignete Terrain für den Meisterviolonisten, sein ganzes Können zu demonstrieren. Die matten, schleppenden Akkorde des Themas sind auch für den heutigen Hörer als Darstellung extremer Hitze nachvollziehbar und bauen eine Spannung auf, die sich urplötzlich in einem virtuosen Solo entlädt.

Deutliche Vogelstimmen extrahieren sich aus dem Motiv

Hier ist der Kuckuck zu hören, später dann auch Taube und Distelfink. Die liegende Harmonik verdeutlicht das endlose Warten der Natur auf etwas Kühlung. Da sind auf einmal leichte Winde zu spüren; sie kommen aber nur langsam in Gang, bis schlagartig der eisige Nordwind losbricht. Pianissimo nun noch einmal ein paar Takte des Anfangsritornells auf der Dominante, als sei die Hitze nun plötzlich weit entfernt, und wieder hören wir den Hirten über sein Schicksal klagen, bis der kalte Sturm wiederkommt und alles hinwegfegt. Der begnadete Geiger legte mit seinem Orchester einen stürmischen Sommer aufs Parkett und erntete ebensolchen Beifall vom begeisterten Publikum.

Tschaikowskys Abschiedstanz in die laue Frühsommernacht

Mit einem Tschaikowsky Walzer liess Musical Director Daniel Hope das Konzert austanzen, also dem 2., statt dem programmierten 1. Satz aus der Serenade für Streichorchester in C-Dur op. 48. Hope spielt auf der, von einer anonymen deutschen Familie zur Verfügung gestellten, 1742 “ex-Lipínski” Guarneri del Gesù und beflügelte mit dieser lichtdurchfluteten, luftigen  Komposition die Stimmung des gutgelaunten Auditoriums zu einem stürmischen, langanhaltenden Schlussapplaus.

Ein in allen Belangen gelungener Start in die Konzertzukunft des ZKO.

Text: www.leonardwuest.ch

Fotos:   www.zko.ch

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Dieser Beitrag wurde am von unter leitartikel und kolumnen von léonard wüst, musik/theater/ausstellungen, schweizweit veröffentlicht.

Über Leonard Wüst

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