Fragen an Prof. Dr. med. Urs Martin Lütolf, Präsident des Zürcher Lighthouse (Kompetenzzentrum für palliative Pflege und Medizin), über Palliative Care und Sterbehilfe.
Was unterscheidet Palliative Care von Sterbehilfe?
Palliative Care hat den möglichst langen Erhalt der Lebensqualität eines unheilbar kranken Menschen als Ziel – Sterbehilfe hingegen das frühzeitige Beenden des Lebens. Das sind zwei völlig gegenläufige Ansätze, die doch Einfluss aufeinander haben. Weiter wird zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe sowie assistiertem Suizid unterschieden. Aktive Sterbehilfe bedeutet, dass der Tod eines Patienten absichtlich herbeigeführt wird. Diese ist in der Schweiz verboten. Passive Sterbehilfe hingegen nimmt die Verkürzung der Lebensdauer eines Patienten durch Verzicht auf unterstützende Massnahmen oder als Risiko des Einsatzes schmerzstillender oder symptombekämpfender Medikamente in Kauf. Von assistiertem Suizid spricht man, wenn dem Patienten beigestanden wird, sein Leben selber zu beendigen.
Wie schätzen Sie Palliative Care als Form der Suizidprävention ein?
Oftmals führen Ungewissheit, Verzweiflung und Angst zum Suizidwunsch. Sei es der Gedanke an Schmerzen oder an einen langanhaltenden Zustand der Unzurechnungsfähigkeit. Palliative Care setzt hier in Form von Gesprächen, Aufklärung und spiritueller Unterstützung an. Es geht darum, Sorgen und Bedenken zu thematisieren und sie nicht wegzudiskutieren. Gerade mit Blick auf die ärztliche Behandlung im Fall vom Verlust der Entscheidungsfähigkeit sind Patientenverfügungen eine grosse Unterstützung für Angehörige und das behandelnde Team.
Ab wann ist Palliative Care sinnvoll?
Grundsätzlich ist Palliative Care angebracht, sobald ein unheilbar kranker Patient Unterstützung für sich in Anspruch nehmen möchte. Sei es, um Symptome seiner Krankheit behandeln zu lassen, oder seine soziale Situation zu verändern. Im Vordergrund der Palliative Care steht nicht der Krankheitsaufschub, sondern das Ermöglichen eines weitgehend angst- und schmerzfreien sowie würdevollen, selbstbestimmten Lebens mit der Krankheit und ihren Symptomen.
Wie sehen Sie die Rolle von Sterbebegleitern ausserhalb der Familie, vor allem auch, wenn ein Patient gar keine näheren Angehörigen hat?
Sterbebegleiter und spirituelle Berater bauen über persönliche Gespräche eine enge Bindung zum Patienten auf. Primär geht es um den Abbau von Ängsten und den Aufbau von Vertrauen. Wichtig ist, dass der Patient sich verstanden und geborgen fühlt und die Sicherheit erfährt, dass in jeder Situation in seinem Sinne gehandelt wird. Das Ansprechen des Themas Sterben und das Aufzeigen der Möglichkeiten helfen nicht nur dem Patienten, sondern auch dessen Angehörigen, vorbereiteter und dadurch gelassener und gefasster mit der Situation umzugehen.
Wie ist Ihre persönliche Einstellung zu Sterbehilfe und Palliative Care?
Das ist eine schwierige Frage. Ich begrüsse die Tatsache, dass die Medizin ihr Dogma, jede Krankheit heilen zu müssen, langsam ablegt und sich an der Realität unseres Daseins und an den Vorstellungen der Patienten orientiert. Das Leben betrachte ich als
Geschenk, mit dem wir achtsam umgehen und über das wir nicht leichtfertig verfügen sollten.
Palliative Care schätze ich vor allem als Form der Besinnung. Es geht nicht nur darum, die Schmerzen eines Patienten zu lindern, sondern auch darum, mit ihm gemeinsam einen Weg zu finden, die verbleibende Zeit möglichst gut und in Würde zu gestalten. Schliesslich definiert jeder Mensch Lebensqualität anders und manchmal ändert sich diese Definition auch im Laufe der Zeit.www.zuercher-lighthouse.ch[content_block id=29782 slug=ena-banner]